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Darauf haben wir gequartett. Das Artemis Quartett (von links: Eckart Runge, Gregor Sigl, Vineta Sareika und Friedemann Weigle) spielt am Donnerstag – nach Auftritten in München und Leipzig – erstmals in dieser Besetzung in Berlin.

© MolinaVisuals

Artemis Quartett: Das Vier-Gefühl

Streichquartette sind wieder schwer in Mode: Mit dem umbesetzten Artemis Quartett kommt jetzt ein großes Ensemble zurück - mit der Lettin Vineta Sareika als neuer Primgeigerin.

Es wäre eine kleine Kammermusik-Katastrophe gewesen, die sich beinahe in diesem Sommer ereignet hätte. Das Artemis Quartett, eine Berliner Institution, hatte da einen schmerzhaften Abgang zu beklagen. Natalia Prishepenko, die russische Primgeigerin mit dem dunklen, erdigen Ton, verließ die Formation nach 18 Jahren – nicht im Streit, durchaus mit dem Verständnis der Kollegen, aber doch: Sie ging.

Damit war die empfindlichste Position eines jeden Quartetts vakant. Die Klassikszene der Stadt raunte: Würde das das Ende bedeuten, ausgerechnet für das 1989 gegründete Artemis Quartett, das seit seiner Übersiedelung von Lübeck nach Berlin weltberühmt geworden ist, das mit einer eigenen Reihe im Kammermusiksaal vertreten ist, das eine hochgelobte Einspielung aller Beethoven-Quartette vorgelegt hat? Das Artemis Quartett, enorm beliebt auch wegen seines Klangs? Graupelig kann der sein, harsch, spröde, um sogleich ins Liebliche umzuschlagen, ins Sehnsuchtsvolle, Gefährdete – all das mit einer gespannten Wachheit, einem analytisch-bohrenden Blick, der auf den Stücken zu liegen scheint, und doch viel Raum für Gefühl, für Zärtlichkeit lässt.

Es war – zum Glück – nicht das Aus für das Quartett um den Cellisten Eckart Runge, der bei Auftritten, erhöht auf einem Podest sitzend, den Conférencier gibt. Die Lettin Vineta Sareika ist neue Primgeigerin, sie hat sich durchgesetzt gegen sechs Kandidaten. Zur Prüfung gehörte ein Stück des Kanons – Beethoven, Opus 59/2 – und ein Mittagessen mit Runge und den beiden anderen verbliebenen Mitgliedern des Quartetts, Gregor Sigl und Friedemann Weigle. Jung ist die Neue und blond, 26 Jahre alt, mit blitzenden Augen und gewinnendem Lächeln. Man kennt sich, Sareika war Teilnehmerin einer Artemis-Meisterklasse, später Konzertmeisterin in Antwerpen, sie tritt mit einem eigenen Trio auf.

„Ich habe einen unglaublichen Sommer hinter mir“, sagt sie, noch auf Englisch. „In kürzester Zeit bin ich nach Berlin gezogen und habe sechs neue Stücke einstudiert, im August habe ich Tag und Nacht geprobt.“ Es ist alles gutgegangen: Glaubt man ersten wohlwollenden Berichten von Auftritten in München und Leipzig, dann ist der Klang des Quartetts heller, „französischer“ geworden. Ein Gewinn. Am kommenden Donnerstag präsentiert sich das „neue“ Artemis dann erstmals seinem Berliner Publikum im natürlich ausverkauften Kammermusiksaal – mit Schuberts letztem großen Streichquartett G-Dur.

Die Situation ist indes nicht neu für das Quartett. 2007 mussten sogar gleichzeitig die zweite Violine und die Bratsche ausgetauscht werden. Und doch scheint jede Umbesetzung eines Streichquartetts einem kleinen Drama zu gleichen – zuvorderst wohl, weil auf so einer Formation enorme Erwartungen ruhen. Streichquartett, das ist die Königsdisziplin in der Kammermusik, entwickelt von Joseph Haydn, unter Beethoven zum intellektuellen Gegenstück der groß besetzen Symphonie entwickelt. Vier Musiker nur, wie unterm Brennglas liegen hier die Strukturen der Musik offen. Da verwundert es nicht, dass bis heute immer wieder Komponisten Streichquartette geschrieben haben, bis hin zu Ligeti, Rihm, Widmann – und dass Quartette wie das Artemis besondere Aufmerksamkeit genießen.

Und dann ist da noch das Soziale. Streichquartett, so könnte man sagen, ist eine Lebensform. Das muss man wollen! Noch im 19. Jahrhundert überwog der Hausmusikcharakter, gespielt von ambitionierten Laien im kleinen Kreis. Später professionalisierte sich das Genre. Wahrscheinlich sind Berufliches und Privates nirgendwo so eng verschmolzen wie hier. Es ist wie eine Ehe zu viert – oder zu acht, denn da sind ja bei vielen auch noch die Partner, die jede Terminplanung schnell zum Kampf mit der Hydra machen. Auch mental ist vieles anders als in einem Orchester, wo sich die Zusammensetzung viel schneller ändert und oft ein anderer Dirigent am Pult steht. Im Quartett sind vier Musiker völlig aufeinander eingeschworen. Man investiert viel, das schweißt zusammen. Manche Quartette sind 30 Jahre zusammengeblieben. Günter Pichler und Valentin Erben vom legendären, 2008 aufgelösten Alban Berg Quartett waren sogar fast 40 Jahre dabei.

Doch genau das ändert sich jetzt. Wie die Ehe nicht mehr das ist, was sie mal war, lösen sich auch in der Musik Bindungen. Die räumliche Verankerung lockert sich, Quartette als Ausdruck regionaler Identität – das ist vorbei. War es früher undenkbar, dass im Gewandhausquartett jemand anderes als vier Leipziger oder im Alban Berg Quartett vier Wiener spielen, sieht man das heute nicht mehr so streng. Geht damit etwas verloren, an Reife, an Kennerschaft? Nicht unbedingt. „Alter Wein kann auch kippen“, meint Eckart Runge. Am besten sei es, wenn die Quartette eine Balance fänden zwischen Kontinuität und Inspiration durchs Neue.

Trotzdem nennen mindestens drei bedeutende Quartette Berlin ganz explizit ihre Heimat: Neben Artemis sind das das 1985 in Ostberlin gegründete Vogler Quartett und das Kuss Quartett, das gerne mal in Clubs wie dem Watergate auftritt. Hinzu kommen aber die Durchreisenden, die die Szene bereichern. Die Spanne reicht vom Mandelring Quartett, das gerade erst mit einem Schostakowitsch-Zyklus da war, bis zum Quatuor Diotima, zur Zeit „Quartet in Residence“ am Grunewalder Wissenschaftskolleg. Um da den Überblick zu behalten, hat die Agentin Andrea Hampl eine neue Webseite ins Leben gerufen. Auf www.quartette-in-berlin.de bündelt sie alle Auftrittstermine, um, wie sie sagt, „zum Wachsen der Szene beizutragen“.

Stehen die Quartette im Moment denn allzu sehr im Schatten der großen Orchester? „Nein“, sagt Eckart Runge entschieden, „sie hatten schon immer ein völlig anderes Publikum.“ Eines, das weniger am repräsentativen Charakter der Symphoniekonzerte interessiert ist als an Wachheit, Versenkung, Konzentration. Dieses Publikum wächst, Quartette seien „fashionable“ geworden, glaubt Vineta Sareika, gerade bei jungen Leuten, weil sie das Intime wieder mehr schätzen würden. Ein Generationswechsel, den mit dem Engagement der jungen Geigerin auch das Artemis Quartett vollzogen hat.

13.12, 20 Uhr, Kammermusiksaal

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