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Kultur: Asche und DiaMat: Jewsej Zeitlin erzählt vom Kommunismus in Litauen

In der Nacht füttert Jokubas Josade den Ofen mit seinen Tagebüchern und Büchern, und am Morgen leert er selbst die Ascheimer, aus Angst, das Hausmädchen könnte dem verbrannten Papier auf die Spur kommen. Das macht er so lange, bis all die jüdischen Autoren, die gerade wieder einmal von Stalin als Zionisten und Kosmopoliten durchs Land gejagt werden, aus seiner Bibliothek verschwunden sind.

In der Nacht füttert Jokubas Josade den Ofen mit seinen Tagebüchern und Büchern, und am Morgen leert er selbst die Ascheimer, aus Angst, das Hausmädchen könnte dem verbrannten Papier auf die Spur kommen. Das macht er so lange, bis all die jüdischen Autoren, die gerade wieder einmal von Stalin als Zionisten und Kosmopoliten durchs Land gejagt werden, aus seiner Bibliothek verschwunden sind. Das lange Leben im Totalitarismus hat Josade deformiert. Es hat ihm die Sprache geraubt, seine Familie zerstört und ihn, den bekannten litauischen Dramatiker und Literaturkritiker, der zerstörerischen Kraft des Zweifelns ausgesetzt. "Ich bin nicht mehr ich selbst", sagt Josade nicht erst am Ende eines Lebens, das tief aus dem Unglück des letzten Jahrhunderts geschöpft hat.

Als die Russen nach Litauen kommen, kann er sie gerade noch davon abhalten, seine Familie nach Sibirien zu verschleppen. Die wird einige Jahre später stattdessen in einem deutschen Lager umgebracht. Und dann kommen die Russen zum zweiten Mal und verweigern ihm für den langen Rest des Lebens seine jüdische Existenz. Damals steckte er auch seine Sprache in den Ofen, schreibt litauisch statt jiddisch, und zieht sich, wie er es nennt, zurück in die Loge des Lebens. Auch wenn er weiterhin am intellektuellen Leben Litauens teilnimmt, sein Wille ist gebrochen.

Der Schriftsteller Jewsej Zeitlin dokumentiert Josades Leben als Fragmentarium, echte Gespräche, wie der Titel verspricht, zwischen ihm und Josade gibt es kaum. Josade hält einen langen, sich über Jahre erstreckenden, immer wieder abschweifenden und an die Schlüsselstellen seines Leben zurückkommenden Monolog. Zeitlin notiert und ordnet und manchmal kommentiert er, doch nur selten dringt durch, dass die beiden Männer in der Zeit ihrer Zusammenarbeit Freunde geworden sind. Getrieben ist Josades autobiografischer Monolog von Selbsthass und Selbstzweifeln und von einer fortschreitenden Internalisierung der sowjetischen Wahn-Welt aus Verleumdung, Lüge und Selbstverleugnung. Dass der KGB das Telefon abschaltet und dann einen Monteur vorbeischickt, der eine Wanze installiert, wusste Josade auch damals, ebenso dass er bei der Zeitschrift "Pergale" nicht nur als Literaturkritiker, sondern zugleich als "Redaktionsjude" fungierte. Sein Leben, meint Josade einmal, war bestimmt von den staatlichen antisemitischen Kampagnen der vierziger und fünfziger Jahre. Dann dementiert er alles wieder, als ob ihn sein Gesprächspartner verraten könnte. Im historischen Rückblick war Josades Berührung mit dem System bewundernswert gering. Er ist nie in die Kommunistische Partei eingetreten, hat nie in einem Präsidium gesessen, keine einzige offizielle Rede gehalten und an seinen Geburtstagen ist er stets verreist, um einer offiziellen Ehrung zu entgehen.

Für Zeitlin ist er ein "Wahrheitsfanatiker. Fast ein Held. Fast ein Dissident". Aber Josade selbst schildert auch, wie er über Monate die Frau eines inhaftierten Freundes schneidet, aus Angst, mit ihr und ihrem Mann in Verbindung gebracht zu werden. Auch eine Widmung des Freundes in einem seiner Bücher landet im Ofen. Andere sind in diesem System verrückt geworden, Josade wurde schwierig, rechthaberisch und einsam.

Er lebt wie ein Seismologe von den Regungen eines Systems, dessen Feind er ist, und wartet gierig auf die Brüche, die sein Leben erschüttern. "Er begann mit Prosa", schreibt Zeitlin, "und wurde dann Literaturkritiker. Darauf schrieb er viele Jahre lang Dramen. Doch sein literarisches Genre ist das Bekenntnis". Und so bleibt das Lieblings-Objekt seiner Aufmerksamkeit er selbst. Sogar über sein tägliches Bad gibt er Auskunft: "Ich hasse meinen Körper. Meine Haut ist in den letzten zwei Wochen sehr empfindlich geworden. Ich rasiere mich nur mit Mühe und muss dabei Trägheit und Widerwillen überwinden. Nur mit Mühe halte ich meine Finger unter den Wasserstrahl." Immer wieder zerlegt er fasziniert sein Leben in Spielzüge und überdenkt es ausführlich, als ob es für einen litauischen Juden in diesem Jahrhundert einen einfacheren Weg hätte geben müssen.

Entlarvend wirkt Zeitlins Buch über einen Mann, dessen Selbstmitleid kein Mitleid mehr erträgt und dessen Zweifel anderen eine Last waren. Entlarvend auch, weil Josade die Deformationen vorführt, die ein Leben in Angst und Bedrohung erzwingen kann: Er selbst dokumentiert den traurigen Sieg des Systems über Jokubas Josade.

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