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Kultur: Asphalt und Dschungel

Wahre Männerfreundschaft beginnt erst nach Umwegen: die Buddy-Komödie „Prince Avalanche“.

Das langsame Vordringen der Zivilisation wird im amerikanischsten aller Filmgenres, dem Western, von einem Verkehrsnetz symbolisiert, dem Schienenstrang. Als Helden fungieren dabei raubeinig Pioniere, die die Wildnis urbar machen, indem sie Brücken bauen und Trassen durch Felsen sprengen. David Gorden Greens Film „Prince Avalanche“ beginnt mit einer klassischen Westernszene. Zwei wortkarge Männer kochen auf einem Lagerfeuer Kaffee, bevor sie im Morgengrauen zu ihrer Arbeit aufbrechen. Allerdings sitzen sie auf Campingstühlen, und sie besteigen dann auch nicht ihre Pferde, sondern einen klapprigen Miniaturjeep.

Heldentum ist hundert Jahre nach der Eroberung des Wilden Westens nur noch in seiner Schrumpfversion zu haben. Der Film spielt Ende der achtziger Jahre in einem texanischen Nationalpark, den ein Waldbrand in eine surreal verkohlte Mondlandschaft verwandelt hat. Statt mit Wölfen, Bären und Indianern kämpfen der Vorarbeiter Alvin (Paul Rudd) und sein Adlatus Lance (Emile Hirsch) vor allem gegen die Langeweile. Sie bohren Löcher, um Begrenzungspfähle zu setzen, und schieben ein rasenmäherartiges Gerät vor sich her, mit dem sie gelbe Mittelstreifen auf die Straße sprühen. „Prince Avalanche“ ist die Parodie eines Westerns und das langsamste Roadmovie, das man sich vorstellen kann.

Weil die Handlung nur zentimeterweise vorankommt, schöpft der Film seinen Witz ganz aus der Wurstigkeit seiner beiden Antihelden. Auf den ersten Blick erscheinen sie wie komplette Gegensätze. Alvin ist ein Zwangsneurotiker, der von seinem Kompagnon höchste Konzentration verlangt und ihm deshalb das Hören von Hardrock bei der Arbeit verbietet. Lance hat den Job nur bekommen, weil er der Bruder von Alvins Freundin ist. Der Kindskopf fühlt sich von der Natur „aufgegeilt“, onaniert schnaufend im Zweimannzelt und erteilt ungebeten Sexratschläge: „Schlaf nie mehr als drei Mal mit einer Frau, sonst entwickeln sich Gefühle.“

Von Männern, die für andere den Weg markieren, sollte man glauben, sie wüssten, welche Richtung ihr eigenes Leben einschlagen soll. Doch die Zukunft ist für sie ein graues, endlos vor ihnen ablaufendes Asphaltband, dem sie blindlings folgen. Dabei glaubt gerade Alvin, alles im Griff zu haben. Zur Vorbereitung einer Europareise mit seiner Freundin Madison lernt er bereits mit einer Sprachkurskassette Deutsch. Dass Madison aber längst von ihm und seinen überlangen Briefergüssen gelangweilt ist, ahnt der egozentrische Pedant nicht.

Die Pläne von Lance reichen ohnehin nicht übers nächste Wochenende hinaus, wo er sich eine Chance von „80 bis 90 Prozent“ ausrechnet, bei einem Schönheitswettbewerb ein Mädchen aufreißen zu können. Alvin will lieber „die Stille genießen“ und zieht sich an den freien Tagen in die Natur zurück, in seiner Hängematte Tagträumen von einer Einsiedlerexistenz wie in Thoreaus „Walden“-Buch nachhängend. Aber Lance kehrt mit einem blauen Auge von dem Ausflug zurück – und mit einem Brief, in dem seine Schwester Alvin den Laufpass gibt. Außerdem hat er erfahren, dass er eine 20 Jahre ältere Frau bei einem One-Night-Stand geschwängert hat.

Dass wahre Männerfreundschaften erst nach einigen Umwegen beginnen, dass aus den seltsamsten Kerlen in der Krise Kumpels werden können, gehört spätestens seit den „Odd Couple“-Filmen mit Jack Lemmon und Walter Matthau zu den Botschaften von Hollywood-Komödien. Alvin und Lance finden sich zwischendurch so unausstehlich, dass sie einander mit Kriegsbemalung durch die verbrannten Wälder jagen. Die Versöhnung endet in einem Zerstörungsrausch, bei dem sie die Ausrüstung zertrümmern und Schlangenlinien auf die Straße sprayen.

In einer apokalyptischen Landschaft, in der zaghaft erstes Grün sprießt, zerfließen zunehmend die Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Wahn. Ein greiser Lkw-Fahrer, der den beiden Pionieren Schnäpse aufnötigt, erinnert an einen Seher aus Homers „Odyssee“. „Prince Avalanche“, bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären für die beste Regie dekoriert, ist die erstaunlichste Buddy-Komödie des Jahres. Alvin und Lance, die auf einer Strecke von 8,2 Meilen exakt 854 888 Mittelstreifen auf die Straße malen, würde man gerne noch länger auf ihrem Weg folgen.

In sieben Berliner Kinos

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