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Kultur: Atomkraft: Voller Energie

Der Himmel ist hellblau. Die Wolken sind strahlend weiß.

Der Himmel ist hellblau. Die Wolken sind strahlend weiß. Das Mädchen in der Mitte des Bildes hat ihre Finger- und Fußnägel dunkelblau bemalt, auf dem Oberarm prangt ein Tattoo. Das ist jung, hip, modern. Die Schlagzeile in der Anzeige lautet: "Saubere Luft - das ist das 21. Jahrhundert." Darunter steht: "Unsere Generation fordert viel Elektrizität - und viel saubere Luft." Geschaltet wurde sie kürzlich vom US-Institut für Nuklearenergie. Die Botschaft ist eindeutig: Die grünen Verzichtstypen sind ein Relikt des 20. Jahrhunderts. Wir dagegen haben Spaß und schonen trotzdem die Umwelt. Wie das gehen soll, hat US-Vizepräsident Dick Cheney gesagt. Die Regierung von George W. Bush sei fest entschlossen, die Kernenergie stärker zu nutzen. "Kernkraft ist eine der saubersten Energieformen, die wir kennen. Wenn wir es ernst meinen mit dem Umweltschutz, müssen wir uns fragen, ob es sinnvoll war, dass wir diese Energieform, die sicher, sauber und ergiebig ist, vernachlässigt haben."

In dieser Woche will Bush die von Cheney ausgearbeitete neue Energiestrategie vorstellen. Doch schon längst hat Bush parteiübergreifend Umweltpolitiker und Umweltgruppen gegen sich aufgebracht. Der US-Präsident hat die Kritik genau registriert und am Wochenende reagiert. In seiner wöchentlichen Rundfunkansprache versicherte er, dass die Regierung auch Energiesparmaßnahmen fördern will. "Wir wollen Technologien nutzen, die aus jedem Barrel Öl so viel rausholen, wie wir gelernt haben, aus Computerchips herauszuholen", sagte Bush und fügte ganz im Sinne des Werbeplakats der Atomlobby hinzu. "Wir können unseren Lebensstandard erhöhen und zugleich in Harmonie mit der Umwelt leben." An der neuen Strategie werden diese Worte nichts ändern. Sie sieht neue Öl- und Gasbohrungen, den Bau neuer Raffinerien, mehr Kohleförderung und den Bau von Atomkraftwerken vor.

Seit dem Unfall im Atomreaktor "Three Miles Island" in Pennsylvania im Jahre 1979 wurde in den USA kein einziges neues Kernkraftwerk gebaut. Endgültig ruiniert schien das Image der Nuklearenergie dann wenige Jahre später durch die Tschernobyl-Katastrophe. Etwa zwanzig Prozent der amerikanischen Energieproduktion stammen aus 103 noch operierenden Kernkraftwerken.

Nun wittern die Kernkraftsbetreiber Morgenluft. Die Gründe dafür sind einfach. Amerika verbraucht immer mehr Energie. Die Krise in Kalifornien wird spätestens im Sommer wieder akut. Sparmaßnahmen oder Einschränkungen sind unpopulär. "Sparen mag ein Zeichen von persönlicher Tugend sein, aber es kann nicht die Grundlage bilden für eine gesunde, umfassende Energiepolitik", sagt Cheney dazu. Die Entwicklung alternativer Energieformen, wie Wind- und Sonnenkraft, sei wiederum noch nicht ausgereift und alle anderen Formen, wie Öl, Kohle und Erdgas, seien umweltfeindlich.

Das PR-Debakel nach der Verkündung des Ausstiegs aus dem Kyoto-Vertrag sitzt tief. Bush sieht daher in einer Wiederbelebung der Nuklearenergie die beste Gelegenheit, sich sowohl umweltfreundlich zu präsentieren, als auch zu zeigen, dass er die Energiekrise bekämpft und helfen will, die enorm gestiegenen Preise wieder zu senken. Um seinen Energiebedarf zu decken, braucht Amerika in den kommenden zwanzig Jahren etwa 1300 neue Kraftwerke, sagt Cheney. Wie viele davon nuklear betrieben sein werden, ist noch offen. 40 Prozent der Kernkraftwerksbetreiber haben bereits Anträge auf Lizenzverlängerungen und Produktionserhöhungen gestellt. Im US-Haushalt sind 150 Millionen Dollar für die Entwicklung sauberer Kohle-Technologien eingeplant.

Um Bush zu unterstützen, haben sich 200 Unternehmen - einschließlich der US-Handelskammer - zu einer Koalition zusammengeschlossen. Sie heißt "Allianz für Energie- und Wirtschaftswachstum". Ihre Botschaft deckt sich auffallend mit der des Mädchens in der Anzeige: Wir wollen mehr Energie, die billiger ist und die Umwelt schont.

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