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Kultur: Attacca

Mahlers Neunte mit Rattle und den Philharmonikern

Dem Tod applaudiert man nicht. Der im dreifachen Piano ersterbende Schluss von Mahlers Neunter, der letzte Atemzug, der Tod der Musik, es ist immer seltsam, danach zu klatschen. Kaum dass noch jemand zu atmen wagt – es dauert eine kleine Ewigkeit, bis sich in der Philharmonie die Hände doch rühren. Simon Rattle ist kein Mahler-Magier, keiner, der die radikal dem Symphonischen abschwörende Symphonie in unerhörte Sphären transzendierte. Aber zum Schluss betört er einen doch, allein die Cello-Kantilene kurz vor dem Exitus, ein Quantum Trost auf verlorenem Posten, nach all den Strudeln der Rondo-Burleske, der Kakofonie aus der Neuen Welt, den sich überstürzenden Ereignissen und der nackten Panik am Ende des Rondos, aus dem Rattle den Beginn des weltentrückten Adagios attacca herauslöst, mit quälender Intensität. Der Rhythmus verrutscht, Konzertmeister Guy Braunstein gibt ein anderes Metrum vor als Rattle am Pult, aber egal, die Ungeheuerlichkeit der Kollision ist es wert.

Solche Risiken mutet Rattle den Berliner Philharmonikern leider selten zu an diesem Abend. Er schönt Mahler nicht, nimmt das Adagio zügig, belädt das Rondo mit reichlich Schwerkraft, kehrt schon im Eingangs-Andante das Collagierte, Kantige, Kurzatmige hervor. Aber er schwankt etwas unentschlossen zwischen Atomisierung und einem zähflüssigen, dynamisch wenig differenzierten Kontinuum. Sehr legato das Ganze. Mahler sprengt die Form, Rattle zwingt sie zusammen. Die Philharmoniker haben das Zeug dazu, die Spannung zu halten, dieses Ganz-für-sich-Sein der Bläser- und Streichersoli mitten im lärmenden, jedes Sentiment zermalmenden Tutti.

Wenig Farbenzauber, dafür ein hoher Geräuschanteil, das passt zu Helmut Lachenmanns „Tableau“ vor der Pause. Abstrakte Malerei mit vollem Orchester und acht Hörnern, Klang wird Krach, es raunt und rauscht, rattert und flattert. Wischtechniken, Versteinerungen, Verflüssigungen: ein kongeniales Vorspiel zu Mahlers Studie des Zerfalls. Christiane Peitz

Noch einmal heute, 5. 11., 19 Uhr. Außerdem auf www.digital-concert-hall.com

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