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Kultur: Auch einmal etwas vom Leben haben Wieder entdeckt: die Autorin Maria Leitner

Doris, die Heldin von Irmgard Keuns 1932 erschienenem Roman „Das kunstseidene Mädchen“ flieht aus der Langeweile ihres Provinzdaseins nach Berlin, weil sie einmal „ein Glanz“ sein möchte. Aus den Träumen von Ruhm und Reichtum wird für die junge Frau, die gerade ihre Stellung als Sekretärin verloren hat, dann doch nichts.

Doris, die Heldin von Irmgard Keuns 1932 erschienenem Roman „Das kunstseidene Mädchen“ flieht aus der Langeweile ihres Provinzdaseins nach Berlin, weil sie einmal „ein Glanz“ sein möchte. Aus den Träumen von Ruhm und Reichtum wird für die junge Frau, die gerade ihre Stellung als Sekretärin verloren hat, dann doch nichts. Auch Lina, der Titelfigur aus Maria Leitners Roman „Mädchen mit drei Namen“, geht es nicht besser. Sie lässt in Cottbus eine Lehrstelle in einem Hutgeschäft, einen arbeitslosen Vater und eine zeternde Mutter hinter sich, um in Berlin ihr Glück zu machen. Anfangs ist sie vom vibrierenden Großstadtleben euphorisiert. „Draußen war es warm und sonnig, die Straßen voller Menschen, die scheinbar alle gar keine Sorgen hatten. Aus einem Eissalon sickerte Musik auf die Straße. Alle löffelten ihr Eis, als ob es besonders gut schmeckte. Ich wollte auch einmal etwas vom Leben haben und Eis essen, wenn es ohnehin schon so schlimm um mich stand.“ Aber besser wird es auch in der Metropole nicht für sie, im Gegenteil.

Dass dieser „kleine Berliner Roman“, der 1932 von der linken Tageszeitung „Die Welt am Abend“ in Fortsetzungen gedruckt wurde, jetzt erstmals in Buchform herauskommt, ist ein Glücksfall. Denn über die Stimmungslage am Ende der von der Weltwirtschaftskrise schwer getroffenen Weimarer Republik erfährt der Leser hier mehr als in allen Schulbüchern, und Leitners aus Sachlichkeit und Schnoddrigkeit gemischter Tonfall erinnert an große Kollegen wie Gabriele Tergit oder Erich Kästner. Der Desillusionierungsroman folgt Lina auf den Stationen ihres Abstiegs. In der Bar „Paradies“, wo sie als Animierdame anheuert, wird sie „Evelyn“ genannt. Später landet sie, von der Polizei aufgegriffen, in einem Kloster, das eher ein Knast ist, und soll fortan „Annunciata“ heißen. Hunger ist ihr ständiger Begleiter. Am Ende steht, leicht kitschig, ein sozialistisches Erweckungserlebnis.

Viele Dialoge in dem nur sechzig Seiten schmalen Roman wirken wie aus der Wirklichkeit mitprotokolliert. Leitner, als Tochter einer jüdisch-deutschen Familie in Budapest aufgewachsen, kam über Wien nach Berlin. Ab 1928 schrieb sie für Blätter wie „Uhu“ oder die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ Reportagen über Bettler, Warenhausverkäuferinnen und „Tauentzien-Girls“. Erika Mann lobte, sie berichte „anstatt zu beichten“. Leitners Roman „Hotel Amerika“, Produkt einer dreijährigen Reise, wurde von den Nationalsozialisten verboten. Das Exil, von der Autorin „Auslandsreise wider Willen“ genannt, führte sie nach Frankreich. 1942 starb sie 50-jährig, erschöpft von der Flucht, in Marseille. Christian Schröder

Maria Leitner: Mädchen mit drei Namen. Reportagen aus Deutschland und ein Berliner Roman 1928–1933. Aviva Verlag, Berlin 2013, 222 Seiten, 15,90 €. – Julia Killet, Helga W. Schwarz (Hrsg.): Maria Leitner oder: Im Sturm der Zeit. Karl Dietz Verlag, Berlin 2013, 144 Seiten, 9,90 €

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