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Kultur: Audienz beim Kriegsverbrecher

Diejenigen, die Peter Handke als seine publizistischen Freunde betrachtet, dürfen mit ihm in den Wäldern rund um den Pariser Vorort Chaville in die Pilze gehen, oder, wie letzte Woche der Schriftstellerkollege Peter Stephan Jungk in der „Literarischen Welt“, untertänigst an den Reinette-Äpfeln in seinem Garten riechen. Diejenigen aber, die er für seine Feinde hält, wozu schon ein leises Widerwort den Anlass geben kann, bedenkt er gerne mit Zornesbriefen und Beschimpfungen.

Diejenigen, die Peter Handke als seine publizistischen Freunde betrachtet, dürfen mit ihm in den Wäldern rund um den Pariser Vorort Chaville in die Pilze gehen, oder, wie letzte Woche der Schriftstellerkollege Peter Stephan Jungk in der „Literarischen Welt“, untertänigst an den Reinette-Äpfeln in seinem Garten riechen. Diejenigen aber, die er für seine Feinde hält, wozu schon ein leises Widerwort den Anlass geben kann, bedenkt er gerne mit Zornesbriefen und Beschimpfungen. Im Herzen seiner poetischen Weltumarmung nistet auch etwas vehement Handgreifliches.

Zum Kreis der Freunde gehört neuerdings offenbar auch sein erster Biograf, der Hamburger Kulturjournalist Malte Herwig, dessen Buch „Meister der Dämmerung“ am 9. November bei der Deutschen Verlags-Anstalt erscheint. Ihm hat er, einem Vorabdruck der „FAZ“ zufolge, anvertraut, dass er im Dezember 1996, ein gutes Jahr nach dem Massaker an den Muslimen von Srebrenica, dessen völkermörderisches Ausmaß zu dieser Zeit noch unbekannt war, im bosnischen Pale Radovan Karadzic, den damaligen Präsidenten der Republika Srpska, aufsuchte.

Begleitet von seinem Freund Zlatko Bokocic, dem Übersetzer Zarko Radakovic und einem im Text ungenannt bleibenden „Suhrkamp-Angestellten“, bei dem es sich dem Vernehmen nach um Lektor Raimund Fellinger handelte, befragte er Karadzic zu den Hintergründen des Balkankonflikts. „Für mich war das ganz selbstverständlich, dass ich hingehe“, wird Handke zitiert. „Man will die Geschichte ja verstehen, also geht man hin.“ Herwig wiederum besuchte Karadzic, der nach zwölfjähriger Flucht seit 2008 als Angeklagter des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag einsitzt.

Handkes Enthüllung ist aus der Perspektive des Jahres 2010 ein Gipfel an Provokation – verbunden mit einem Maximum an Selbstexkulpation. Denn er hinterließ bei Karadzic die Namen bosnischer Muslime, die Salzburger Bekannte vermissten, mit der vergeblichen Bitte um Nachforschung. Handkes Anliegen der historischen Wahrheitsfindung setzt indes nur die unselige Doppelstrategie fort, mit der er, erfüllt von aufklärerischem Furor, seit seiner „Winterlichen Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina“ (1996) einerseits „Gerechtigkeit für Serbien“ fordert, andererseits in stilistisch verblasenen, blind eifernden wie lyrisch beschwörerischen Einfühlungswolken an Argumenten nicht im mindesten interessiert ist.

Wer wie er noch 2006 am Sarg von Slobodan Milosevic eine Rede halten konnte, darf keine Sekunde lang beanspruchen, jemals auch nur einen Funken von historischem Verständnis für den weltoffenen, antinationalistischen Teil eines Serbien entwickelt zu haben, das Gerechtigkeit allein dadurch verdient, dass es sich desjenigen, der es zuletzt in den Ruin trieb, auch wieder entledigte.

Es ist zu früh, Malte Herwigs Haltung gegenüber Handke zu bewerten. Aber dass man als Biograf schwerlich jemandes Vertrauen gewinnt, der darum bangen müsste, dass man ihm zugleich distanzierend in die Parade fährt, potenziert bei einer Figur wie Peter Handke das Problem. Ohne seine Lösung, so ist zu fürchten, gibt es wohl auch keine Gerechtigkeit für Handkes Literatur.

Gregor Dotzauer über Peter Handkes Treffen mit Radovan Karadzic

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