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Kultur: Auf dem hohen Bock

Die Zeit und das Immer: zum 60. Geburtstag des Dramatikers Botho Strauß

Er war: Theaterkritiker. Er war: Schaubühnendramaturg. Da war er zwar noch jung, zwischen Zwanzig und Dreißig, aber man kann nicht sagen, er kenne die Gesellschaft nicht, die er konsequent meidet. Die er, gleichsam von seinem uckermärkischen Jagdhochstand aus, mit hohen, einsamen Worten seziert. Manchmal auch – verachtet.

Er ist: Dramatiker, Essayist, bockiger Rhapsode, „poetologischer Theoretiker“, wie er sich nannte in einem seiner raren Interviews. Er hat, im Sinne des von ihm verehrten George Steiner, nie beitragen wollen zur Parasitärkultur des sekundären Diskurses. Botho Strauß, der heute seinen 60. Geburtstag feiert, erscheint ganz und gar als literarisch-biografischer Gegenentwurf zu Hans Magnus Enzensberger, der im Zweifel selbst die medialen Lichtungen schlägt und die Wölfe erfindet, mit denen er heulen möchte.

Etliche Strauß-Titel aber sind sprichwörtlich geworden, gehören zur intellektuellen Folklore. „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“, „Trilogie des Wiedersehens“, „Groß und klein“, „Paare, Passanten“, „Die Zeit und das Zimmer“: In ihnen hat sich die (westdeutsche, westberliner) Kulturelite wiedererkannt. Es waren die fetten Schaubühnenjahre. Strauß changierte zwischen Tschechow’scher Elegie und dem Boulevard eines Ayckbourn. Wenn man sich damals, als er ein viel gespielter Theaterautor war, leicht angewidert von dem luxuriös-virtuosen StraußTheater abgewendet hat, so galt dies dem Spiegel, in den man schaute.

Heiner Müller meinte einmal: „Botho Strauß ist ein Fotograf. Er fotografiert die Bundesrepublik. Das ist in Ordnung. Mehr sehe ich da nicht. Man kann sich darüber streiten, ob das Dramatik ist.“ Das Verdikt des Tunnelblicks hat auch Müller eingeholt. Im Unendlichen werden sich die beiden einstigen Antipoden des deutschsprachigen Theaters ohnehin berühren; in einvernehmlicher Ablehnung der bestehenden Verhältnisse.

In dem zum Geburtstag erscheinenden Band „Unüberwindliche Nähe. Texte zu Botho Strauß“ (hg. von Thomas Oberender, Verlag Theater der Zeit, 228 S., 18 €) erinnert sich Jutta Lampe: „Die meisten Theaterstücke von Botho Strauß entstanden in der wichtigsten Zeit meines Lebens als Schauspielerin. Wie andere große Frauenfiguren der Weltliteratur sind auch sie Geschöpfe ihrer Zeit. Und doch durfte man sie in diesen Stücke auch hinter sich lassen – diese eine Zeit.“

Jutta Lampe und Edith Clever werden im Frühjahr 2005 als „Die Eine und die Andere“ von Botho Strauß in der Regie Luc Bondys nach Berlin zurückkehren, ans Berliner Ensemble: Dort wird Claus Peymann später in der Saison Strauß’ „Schändung“ (nach Shakespeares „Titus Andronicus“) uraufführen. Eine signifikante Probe auf die Zeitlichkeit von Strauß’ Werk riskiert die Volksbühne im Februar: wenn Sebastian Hartmann „Groß und klein“ von 1978 inszeniert, die alte Geschichte von „Lotte-Kotte“, Marokko und dem Mietshaus. Strauß’ Innovation?

Nie war er ein Linker. Aber der Erste, der den linken Konsens, die political correctness aufgab und in neokonservative Fanfaren stieß. Der Anti-Aufklärer, der Ernst-Jünger-Metaphysiker als Visionär? Botho Strauß kann man nur aus der Distanz würdigen. Dies hat er uns streng gelehrt. Er war, er ist stets Teil des unheimlichen Hintergrundrauschens in der Welt. Der Bock und der Bote, den man für die ungebetene Nachricht schlägt.

Rüdiger Schaper

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