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Kultur: Auf den Flügeln des Gesangs

MUSIK

Das Konzert mit dem Berliner Sinfonie- Or chester hat dazu beigetragen, dass aus der Legende Dietrich Fischer-Dieskau wieder Gegenwart geworden ist. Naturgemäß sind der Hans Sachs, der Graf Almaviva und der König Lear aus der Bühnenwirklichkeit seiner Darstellung in die Erinnerung gerückt, sind die Abenteuer des Schubert-Sängers auf Platten eingefroren.

Plötzlich aber entpuppt sich Dietrich Fischer-Dieskau als ein Dirigent, der, immer ein Lernender, zunehmend erworben hat, wie die Vorstellung von Musik in die Tat umzusetzen ist. Die süße Not, sich in der Musik auszudrücken, braucht Technik. Die steht seinem Ausdruckswillen als eine erstaunliche Neuigkeit zu Diensten. Mit einem reinen Brahms-Programm trifft er im Konzerthaus auf ein hochmotiviertes Orchester und auf den ukrainischen Klavierpoeten Konstantin Lifschitz . Wenn Musiker beim Konzertieren alle Aufmerksamkeit einander zuwenden, entstehen Momente der Innenspannung, die sich dem Geben und Nehmen verdanken.

Fischer-Dieskau hat in der Blütezeit seines Singens 1973 mit dem öffentlichen Dirigieren begonnen, nachdem er Rat und Hilfe von Harold Byrns genossen hatte, einem Maestro aus der Schönberg-Schule. Damals hat die Musikkritik, die der raren Ereignisse habhaft werden konnte, ihm Mut gemacht. Und doch fühlt er bald die Notwendigkeit, „mein Dirigieren zu Grabe zu tragen“. Die Pause dauert fast zwei Jahrzehnte. In der Heimatstadt Berlin ist ihm das Dirigentenglück nicht hold. Die Enttäuschung klingt in seinen Erinnerungen „Zeit eines Lebens / Auf Fährtensuche“ an (erschienen zum 75. Geburtstag 2000). Es ist ein Herbstbuch des Künstlers, das einen gewissen Kulturpessimismus einschließt, Beklommenheit, das Erleben des Alterns, das Gefühl, von Gegnern umstellt zu sein. Hier schreibt einer, der es sich niemals leicht gemacht hat. Warum schätzen wir den Maler Fischer-Dieskau? Weil er mit dem Musiker korrespondiert.

Dass Fischer-Dieskau mehr über Johannes Brahms weiß als die meisten, steht außer Frage. Hier stimmt die Atmosphäre zwischen ihm und dem Orchester. Mag es diesem Glücksfall zu verdanken sein, dass die Interpretation ihm zuzufliegen scheint.

Wie er das Hornsolo zu Beginn des zweiten Klavierkonzerts auf Händen trägt, wie er von den heroischen Akzenten ins Lyrische gleitet, wie ein Tempo in Übereinstimmung mit dem sensiblen Virtuosen Konstantin Lifschitz steht, wie dolce und grazioso umgesetzt werden und der Dirigent dem Pianisten das Tempo abnimmt, wie die Gefühlsintensität der Romantik sich modernem Ton verbindet, das heißt eine Furtwängler-Nachfolge ins Heute versetzt. In der weich einschwingenden vierten Symphonie erhält die Gesangslinie, die in aller romantischen Musik lebt, atmende Dominanz, die Bläsersolisten sehen sich von einem Dirigenten unterstützt, der ihre Phrasierungen kennt.

Die zeitgenössischen Werke, die der Uraufführungssänger Fischer-Dieskau auf den Weg gebracht hat, sind Legion. Heute empfindet er ein „gesteigertes Verlangen, die Tradition wiederzugewinnen“. Als ob sie ihm nicht immer zur Verfügung gestanden hätte! Der Maestro Dietrich Fischer-Dieskau soll willkommen sein. Seine Gestik hat sich zu einer schönen Beredtheit entwickelt, die linke Hand modelliert den Klang. Zwar liegt die Partitur auf dem Pult, aber Musiker und Publikum spüren, dass der vorausdenkende Dirigent sie Note für Note im Kopf hat. Und in der Präzision der Pizzikatos zeigt sich, was das Orchester von dem Meister am Pult hält.

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