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Kultur: Auf der Flucht

Stilles Psychogramm: Emily Atefs „Töte mich“.

Von David Ensikat

Mit einem Suchbild fängt es an, Nebel, Wald, ein Fels am Rand. Darauf steht jemand, ganz klein, ein junges Mädchen, still. Sie will in den Abgrund springen, doch sie traut sich nicht. Auch später gibt es immer wieder solche Bilder: Die Natur ist groß, der Mensch ist klein.

„Töte mich“ handelt von zwei Menschen, Adele, die sich das Leben nehmen will, und Timo, der jemandem das Leben genommen hat. Selbstmörderin und Möder. Beide sind auf der Flucht, er aus dem Gefängnis, sie aus dem Leben.

Eine Versuchsanordnung: Was geschieht, wenn zwei zutiefst gestörte Menschen aufeinanderprallen? Ergänzen sie sich irgendwo, berühren sie sich, nähern sie sich an? Adele hilft Timo bei der Flucht, sie verlangt nur eins dafür: dass er sie tötet, weil sie es allein nicht kann. Dinge, die vielleicht zu einer größeren Geschichte gehören mögen, werden hier nur angedeutet: Warum hat Timo getötet? Warum will Adele sich töten? Es wird überhaupt wenig gesprochen. Und Musik kommt auch nur selten vor – umso wirkungsvoller ist sie dann.

Adele wird von Maria Dragus großartig gespielt. Gespielt? Ihr glaubt man alles, was sie sagt und tut. Bei Roeland Wiesnekker ist das beinahe so. Als Timo agiert er großartig vor allem, wenn ihm jemand zu nahe kommt; das sind genau die Augenblicke, in denen nichts behauptet, aber alles gezeigt wird. Manchmal aber wirkt, was er sagt, gespielt. Dieser Schauspieler kommt vom Theater, da mag der Mann, den er spielt, noch so sehr aus dem Knast kommen.

Der dritte Akteur im Bunde ist die Natur. Das hier ist schließlich kein Roadmovie, keine Straße weit und breit, der Weg geht über Stock und Stein. Emily Atef, die Regisseurin, sagt, das Casting dieses dritten Hauptdarstellers sei nicht leicht gewesen. Deutschland: zu dicht besiedelt, überall Straßen, Schilder, Häuser. Dabei suchte sie Landschaftsbilder, die erzählen, was in Worten nicht erzählt wird. Und sie fand sie: karg, dunkel, eng. Später heller, weiter.

Emily Atef ist eine behutsame Spezialistin fürs Unerträgliche. 2008 kam „Das Fremde in mir“ ins Kino, es ging um die Depression einer Mutter nach der Geburt ihres Kindes, die Unerträglichkeit eines Lebensanfangs. „Töte mich“ macht insofern Mut, als er von der Unzumutbarkeit des Lebensendes erzählt. Hoffentlich ist dies die Unwahrheit: Nicht viele werden diesen Film, der nicht für viele gemacht ist, sehen. David Ensikat

Babylon Mitte, Filmrauschpalast,

UCI-Kinowelt am Eastgate

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