zum Hauptinhalt

Kultur: Auf der Straße

Berlin gibt Hauptwerk von Kirchner zurück

Eines der bekanntesten Gemälde Ernst Ludwig Kirchners wird vorerst nicht mehr öffentlich zu sehen sein. Das Berliner Brücke-Museum gibt die „Berliner Straßenszene“ aus dem Jahr 1913 an die Erbin einer von den Nazis verfolgten jüdischen Familie zurück. Der Schätzwert beträgt mindestens zehn Millionen Euro. Noch bis Sonntag ist das Bild im Brücke-Museum im Rahmen einer Christian-Rohlfs-Ausstellung zu sehen; danach wird es abgehängt und geht in Privatbesitz über. Die Verhandlungen für die Rückgabe liefen seit Oktober 2004. Im vergangenen Jahr war das Bild einer der Publikumsmagneten der „Brücke“-Jubiläumsausstellung in der Berlinischen Galerie.

Die „Berliner Straßenszene“ ist ein herausragendes Bild aus einer ganzen Reihe, die der seit 1911 in Berlin lebende Kirchner auf den Straßen der Großstadt anfertigte – der „Potsdamer Platz“, heute in der Neuen Nationalgalerie, ist ein weiteres Beispiel dafür. Man sieht das übliche Personal aus Flaneuren und Nachtschwärmern, Prostituierten und Freiern, die aufgeheizte Atmosphäre, fiebrige Lichtblitze, ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Mit diesen harten Stadtimpressionen ist Kirchner zu einem der Hauptvertreter des Deutschen Expressionismus geworden, seine Bilder erzielen auf Aktionen Millionenpreise. Zuletzt brachte die „Frau in Weiß“ bei Christie’s im Februar 6,6 Millionen Euro.

Die Rechtslage bei der „Berliner Straßenszene“ ist, wie so oft bei Restitutionsansprüchen, unklar. Das Bild wurde 1933 als Teil der Kunstsammlung einer von den Nationalsozialisten verfolgten Familie in die Schweiz gebracht. Wohl 1937 erwarb es ein Sammler für 3000 Reichsmark. Ob der Kaufpreis in die Hände der Eigentümerfamilie gelangte, konnte nicht geklärt werden. Die Familie des neuen Eigentümers schenkte das Kirchner-Gemälde nach dem Zweiten Weltkrieg dem früheren Direktor des Kunstmuseums Frankfurter Städel. Von dessen Witwe erwarb das Land Berlin 1980 „gutgläubig“das Werk. Zum damaligen Zeitpunkt sei die genaue Herkunft des Gemäldes noch nicht bekannt gewesen, so die Senatskulturverwaltung.

Es ist nicht der erste spektakuläre Restitutionsfall in Berlin: 2004 gab die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Caspar David Friedrichs „Watzmann“ an die Erben des jüdischen Alteigentümers zurück. Mit Hilfe der DekaBank konnte das Bild allerdings zurückgekauft und als Dauerleihgabe für die Alte Nationalgalerie gesichert werden. Ein ähnliches Schicksal ist auch der „Berliner Straßenszene“ zu wünschen.

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false