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Kultur: Auf der Suche nach Bertolt B. Eine Diskussion über

das Dokumentar-Theater.

Auf seiner Flucht vor den Nazis, die im Februar 1933 begann, lebte Bertolt Brecht kurz oder länger in Prag, in der Schweiz, in Frankreich, Dänemark, Schweden und Finnland, bevor er schließlich nach Amerika emigrierte. Während Brecht im Exil immer auf dem Sprung zurück nach Deutschland blieb und sich nirgendwo einrichtete, ist sein Einfluss in seinen Gastländern bis heute zu spüren. „Aussicht Exil. Zur Aktualität Brechts in den Ländern seines Exils“, lautet das Motto der diesjährigen Brecht-Tage, die noch bis zum 10. Februar im Literaturforum im Brecht-Haus stattfinden. Theatermacher und Künstler aus den jeweiligen Ländern sprechen über ihr Verhältnis zu Brecht und darüber, wie und ob heute episches Theater noch möglich ist. Gute Frage.

Unter dem Schlagwort „Lehrstück“ fallen einem sofort einige Spielarten des im Moment sehr regen dokumentarischen Theaters ein. Zum Abend über die Schweiz waren Stefan Kaegi von Rimini Protokoll und Milo Rau eingeladen, der mit sogenannten Reenactments und Stücken wie „Hate Radio“ und „Die letzten Tage der Ceausescus“ auch hier bekannt wurde. Bevor die beiden jedoch einen Mucks sagen durften, monologisierte der Moderator und Theaterprofessor Patrick Primavesi eine Dreiviertelstunde über Brechts Phasen (vom Modell übers Lehrstück zu den Fragmenten), schweifte ins New York der achtziger Jahre ab, wo Brechts Fragment im Gewand der Performance wiederentdeckt wurde, entwickelte kurz eine Theorie über „Interventionen im urbanen Raum“ und versuchte mit der argumentativen Brechstange die Gäste in eine epische Tradition zu zwingen, dass denen zur Selbstrettung nur die kategorische Abgrenzung blieb.

Stefan Kaegi ließ dann Brecht frohgemut Brecht sein und erzählte von einer Arbeit, bei der Rimini Protokoll eine Daimler-Aktionärsversammlung filmte und die gigantische Veranstaltung als absurdes Theater in Szene setzte. „Ich arbeite eher aristotelisch“ (Einheit von Raum und Zeit!), sagte Milo Rau.

Auf den zweiten Blick enden die Gemeinsamkeiten schnell. Während das Brecht’sche Lehrstück im Grunde keine Zuschauer brauchte und für die Bewusstwerdung der Schauspieler, also von Laien gedacht war, sind die Inszenierungen der beiden sehr wohl an ein Publikum gerichtet und scheuen auch vor konventioneller Figurenidentifikation nicht zurück. In „Die letzten Tage der Ceausescus“ ließ Milo Rau etwa den Prozess gegen das Diktatorenpaar inklusive Adhoc-Hinrichtung detailgetreu nachspielen und löste damit in Rumänen eine große Mediendiskussion und die Erkenntnis aus, dass in der Demokratie vieles beim Alten geblieben ist. Die Geheimdienstler von früher sind die Oligarchen von heute. Andreas Schäfer

Die Brecht-Tage gehen noch bis 10.2., Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestr. 125, Infos unter: www.lfbrecht.de

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