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Kultur: Auf der Suche nach der Josephine-Baker-Straße

Das Auge von Liebknecht, der Mund von Kurt Weill: Clegg & Guttmann setzen Berliner Zeitgeschichte in Skulpturen und Collagen um

Wer auf einem Foto großbürgerlich oder staatsmännisch aussehen möchte, für den gibt es in der Kunstszene seit Jahren eine beste Wahl: Clegg & Guttmann. So zumindest wurden die beiden gebürtigen Israelis Michael Clegg und Martin Guttmann bekannt: als begnadete Porträtisten, die ihre Modelle so suggestiv inszenieren, dass man gar nicht anders kann, als an die Macht der Bilder zu glauben. Doch irgendwann muss den beiden dabei langweilig geworden sein, vielleicht hat auch jemand in einem schwachen Moment gesagt, sie könnten ruhig ein wenig komplizierter werden. Und so haben sie sich in Berlin an ein Kunstprojekt gewagt, das „versucht, seine eigenen Produktions- und Wirkungsbedingungen zu artikulieren“. Das macht sich immer gut, weil es so schwierig klingt, so selbstkritisch und so völlig abgeklärt, auch wenn die Grundidee inzwischen schon leicht abgehangen ist.

Die Berliner Galerie Christian Nagel zeigt jetzt eine Serie von großformatigen Collagen, die in der Berliner Galerie Christian Nagel, die man entweder an die Wand hängt (je 10 000 Euro) oder in den Raum stellt (je 17 000 Euro). Die dreidimensionalen Arbeiten erinnern ein bisschen an stilisierte Bäume oder Kakteen, setzen sich jedoch aus historischen Fotos zusammen, tragen den Serientitel „Ideational Construct“ und ergeben so etwas wie Gesichter. Das linke Auge, um nur ein Beispiel zu nennen, gehört zu Karl Liebknecht, das rechte zu Hanns Eisler, die Nase stammt von Hannah Höch, der Mund von Kurt Weill.

Auf den Bildern erkennt man verschiedene Berliner Stadtansichten, Häuser, Straßen, parkende Autos, oft in der Dämmerung oder bei Nacht fotografiert, was ihnen eine geheimnisvolle Aura verleiht. Die Orte sind nicht zufällig gewählt: Stets handelt es sich um Straßen oder Plätze, die Namen tragen, die durch andere Namen ersetzt wurden. Als Leitmotiv diente Clegg und Guttmann hierbei das in Deutschland revolutionäre Jahr 1918 und seine tatsächlichen oder vermeintlichen Protagonisten in Kunst und Kultur.

Das Prinzip ist einfach und in Berlin aus der jüngeren Vergangenheit wohl bekannt: So wird aus der realen Smetana-Straße die Josephine-Baker-Straße, aus der Puccini-Straße die Alban-Berg-Straße, aus dem Alexanderplatz der Novembergruppe-Platz, aus der Defregger- die Heartfield-Straße. Und wo es um das große Ganze geht, spielen Details keine Rolle: Hannah Höch kann da schon einmal zu „Hanne Höch“ werden. Hauptsache, man weiß, wer gemeint ist.

Fragt sich nur, was eigentlich gemeint ist? Eine Belehrung? Dafür müsste man sich bedanken. Eine Rehabilitation? Die wäre überflüssig, weil längst vollzogen. Eine Reminiszenz an die Zeit nach der Wende? Da hätte Berlin ganz anderes zu bieten. Was bleibt, wenn man die Botschaften abzieht, sind die suggestiven Bilder. Und die können Clegg & Guttmann wirklich gut.

Galerie Christian Nagel, Weydinger Straße 2/4, bis 31. Mai; Dienstag bis Sonnabend 11–19 Uhr.

Ulrich Clewing

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