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Kultur: Auf in die Matrix

Heute startet das 56. Filmfestival von Cannes

Ganz gemächlich, mit einem guten, alten Abenteuerfilm – Gérard Krawczyks Remake des französischen Mantel-und-Degen-Klassikers „Fanfan, der Husar“ – wollte das Filmfestival von Cannes am heutigen Mittwoch in seine 56. Ausgabe gehen. Nun aber droht der Start des weltglamourösesten Film-Events selbst zum Abenteuer zu werden. Seit gestern legt ein Generalstreik gegen die Rentenreformpläne der französischen Regierung die Verkehrswege des Landes lahm – und das logistische Chaos, das damit über das Festival hereinbricht, lässt sich ausmalen. Massenweise gestrichene Flüge, Staatsbahnen im Ausstand: Wird das Festival, das sonst inklusive Tagestouristen die 60000-Einwohnerzahl des Städtchens an der Côte d’Azur locker verdoppelt, zur Gespensterveranstaltung, jedenfalls in seinen ersten Tagen?

Wie auch immer die stets früh anreisenden Medien zum Ziel kommen mögen: The show must begin. Und spätestens am Donnerstag dürften die allerneuesten Spezialeffekte von „Matrix Reloaded“ (Deutschlandstart: 22. Mai) die Reisestrapazen zumindest zeitweise aus den Zuschauerhirnen beamen. Schließlich ist, was wir das irdische Jammertal nennen, auch für Matrix-Held Neo bloß eine Computersimulation.

Oder wie wäre es, den Streik zum Festivalstart schlicht innovativ zu finden? Schließlich sind Profil, Stammgäste und Personalspitze auch 2003 ganz vom alten Schlage. Der 72-jährige Gilles Jacob, seit Jahrzehnten Programmchef und vor zwei Jahren zum eher repräsentierenden Präsidenten aufgestiegen, hält die Zügel noch immer so fest in der Hand, dass der „Spiegel“ seinen Nachfolger Thierry Frémeaux soeben als „Adlatus“ schmähte. Folglich ist auch der Wettbewerb – viele Franzosen, wenig Amerikaner, null Deutsche – zumindest auf den ersten Blick ganz nach Art des alten Meisters geraten.

Und dennoch fiebert die Filmwelt Cannes entgegen. Wo sonst sehen wir zuerst den neuen Lars von Trier, seinen in Schweden gedrehten zweiten „amerikanischen“ Film „Dogville“, mit Nicole Kidman und Lauren Bacall in Hauptrollen? Wo sonst gibt es so viel Neues von kreativen Autorenfilmern wie Francois Ozon („Swimming Pool“) oder Lu Ye („Purple Butterfly“), wo sonst Riesenhoffnungen des Kinos wie Samira Makhmalbaf („Fünf Uhr nachmittags“)? Und, so bitter es aus deutscher Sicht klingen mag: Welcher heimische Regisseur könnte sich mit Namen wie André Techiné, Gus van Sant, Peter Greenaway, Alexander Sokurow oder Clint Eastwood messen, allesamt mit neuen Filmen im Wettbewerb präsent? Vielleicht Tom Tykwer; nur hat der leider keinen neuen Film.

Nichts geworden mit ihren neuen Werken sind ein paar andere, die das Ereignis an der Croisette womöglich noch spannender machen würden: die Gebrüder Coen, Wong Kar-wei, auch Bernardo Bertolucci, dessen „The Dreamers“ Branchengerüchten zufolge an den „Letzten Tango“ anknüpfen soll, und auch von einem neuen Quentin Tarantino ist wieder einmal die Rede. Und was, wenn Außenseiter wie Nuri Bilge Ceylans „Uzak“ oder Kiyoshi Kurosawas „Bright Future“ bei der Jury unter Patrice Chéreau triumphieren?

Schließlich die Deutschen in den Nebensektionen: Neugierig machen sie allemal. Max Färberböcks Beziehungsstudie „September“ knüpft an den globalen Bewusstseinsschock durch den 11. September an, und Yüksel Yavuz’ „Kleine Freiheit“ erzählt das Drama eines Kurden im Reeperbahn-Milieu. Und da ist, nicht zu vergessen, Wim Wenders’ „The Soul of a Man“, eine Hommage an die Blues-Legenden Blind Willie Johnson, Skip James und J.B. Lenoir. Womöglich ein Film zum musikalischen Wohlfühlen, so wie „Buena Vista Social Club“ – wenn denn alle, wirklich alle in Cannes angekommen sind.

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