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Kultur: Auf nach Istanbul!

Von Bernhard Schulz Vom Pritzker-Preis wird gerne als dem „Nobelpreis für Architektur“ gesprochen, aber viel exklusiver ist die Goldmedaille des Internationalen Architektenverbandes UIA. Die wird nämlich nicht alljährlich, sondern nur alle drei Jahre verliehen, parallel zum UIA-Weltkongress, der erstmals in Berlin stattfand und gestern nach fünftägiger Dauer zu Ende ging.

Von Bernhard Schulz

Vom Pritzker-Preis wird gerne als dem „Nobelpreis für Architektur“ gesprochen, aber viel exklusiver ist die Goldmedaille des Internationalen Architektenverbandes UIA. Die wird nämlich nicht alljährlich, sondern nur alle drei Jahre verliehen, parallel zum UIA-Weltkongress, der erstmals in Berlin stattfand und gestern nach fünftägiger Dauer zu Ende ging. Renzo Piano heißt bei diesem, überhaupt erst siebten Mal der Preisträger – keine überraschende Wahl, denn welchen Preis von Gewicht gäbe es, den der Genueser Weltbürger nicht schon gewonnen hätte (den Pritzker-Preis beispielsweise im Jahr 1998); aber, wie gesagt, bei einem so seltenen Preis wie der UIA-Goldmedaille kann es nur einen Standesvertreter von weltweit unbestrittenem Renommee treffen.

Das war denn aber auch schon die einzige Reverenz an das „Star-System“, das sich der UIA-Kongress erlaubte. Anders als in der Vergangenheit, als prominente n wahre Massen von Architekturinteressenten anzogen – vor sechs Jahren in Barcelona sollen es über 12 000 gewesen sein –, richtete sich der Berliner Kongress ganz auf sein ebenso umfassendes wie schwieriges Thema „Ressource Architektur“ aus. Das ließ wenig Raum zur eitlen Selbstdarstellung. Einem anderen Großen der Profession, dem Hamburger Meinhard von Gerkan, war es vorbehalten, am gestrigen Schlusstag eindrucksvoll das Versagen der Gegenwartsarchitektur vor den Fragen von Ökologie, Nachhaltigkeit, (regionaler oder lokaler) Identität und schließlich Sinnstiftung zu geißeln. Dass von Gerkan, Prinzipal des weltweit agierenden Büros gmp und in Berlin zur Zeit mit dem Neubau des Lehrter Bahnhofs beschäftigt, eigene Bauten an die Stirnwand des Saales projizieren ließ, die solch strengen Kriterien durchaus nicht in jedem Einzelfall standhalten dürften, belegte nur die drängende Ernsthaftigkeit seines Vortrags.

Ihn hat leider nur eine deutliche Minderheit der offiziell tapfer behaupteten 6000 Kongressteilnehmer gehört. Die Abschlussveranstaltung in Saal 1 des – im Lichte des „Ressourcen“-Themas geradezu irrwitzigen – ICC blieb gestern erschreckend schwach besucht. Allenfalls drei-, vierhundert Neugierige verloren sich in den Reihen. Die Goldmedaillen-Gala vom Abend zuvor jedenfalls konnte nicht allzu vielen Kongressteilnehmern in den Gliedern gesteckt haben: Um fein unter sich zu bleiben, hatten die Offiziellen ein Eintrittsgeld von 50 Euro verhängt.

Die Balance zwischen Konzentration und Öffentlichkeit, zwischen klein, aber fein und groß, aber medienwirksam blieb von Anfang an das Problem eines derart ausufernden Kongresses. So fiel das gestrige Fazit des Tagungs-Präsidenten Andreas Gottlieb Hempel hörbar erleichtert aus: Soviel Publizität zu einem einzelnen Anlass habe die Baukultur noch nie erhalten. Dass mit Kanzler Schröder zum Auftakt und Bauminister Bodewig zum Abschluss gleich zwei Regierungsmitglieder zum Plenum sprachen, unterstreicht durchaus die positive Bewertung.

Als intellektueller Anreger von Dauer hingegen wird der Berliner Kongress kaum in Erinnerung bleiben; zu inkonsistent waren die Beiträge. Ugur Tanyeli (Istanbul) belegte gestern das Problem der zeitgenössischen Architektur in „verspätet modernisierten“ Ländern mit vielen anschaulichen Beispielen von neu errichteten, aber traditionellen Bauten. Die Wismarer Oberbürgermeisterin Rosemarie Wilcken gab das beeindruckende Bild einer die kulturelle Verantwortung fest im Blick behaltenden Kommunalpolitikerin. Die Fragen von historischem Erbe und regionaler Identität übrigens hätten im Programm weit deutlicher zusammengespannt werden müssen, steckt in ihnen doch, jenseits der allseits beklagten Globalisierung und Banalisierung, ein weltweit verbindendes Anliegen.

Am Vortag kam es unter dem Aspekt des Umgangs mit der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts in einer höchst spannenden Vortragsfolge zur Sprache. Zwischen Moskau, Dessau und Rio de Janeiro gibt es vergleichbar zu diskutierende Probleme – aber natürlich auch gewaltige Unterschiede. In Russland muss die Avantgarde der zwanziger Jahre für alle Fehler des Kommunismus herhalten, ihre Bauten verfallen. In Brasilien wuchs die Moderne der fünfziger Jahre zum „Eigenbaustil“ einer kulturell aufgeschlossenen Mittelschicht. In Deutschland werden die Zeugnisse der Weimarer Epoche liebevoll restauriert. Und dann schloss Wolfgang Schäche, der streitbare Berliner Bauhistoriker, mit einer fulminanten Abrechnung mit der Moderne, die mit ihren Utopien „restlos gescheitert“ sei, deren Häuser „Arsenale von Baufehlern“ darstellten – kurz, die „nicht geeignet“ sei, „Antworten auf die drängenden Fragen der Gegenwart zu geben“.

Solche Antworten will man denn von den heutigen Architekten hören – und sehen. Da blieb der Kongress blass. Die Beispiele umweltschonenden und nachhaltigen Bauens gibt es, gewiss. Aber sie stehen isoliert in der überwältigenden Problemflut, wie sie vor allem die in Berlin ausführlich dargestellten Megacities Ostasiens verkörpern. Klaus Töpfer, vier Jahre lang Bundesbauminister und seit 1998 Leiter der UN-Umweltagentur in Nairobi, stellte in bekannter Weise den globalen Zusammenhang des Ressourcenverbrauchs dar, in dem der einzelne Architekt fürwahr nur ein winziges Rädchen im Getriebe sein kann. Karl Ganser, Sprecher des wissenschaftlichen Komitees des Kongresses, monierte denn auch, dass der Themenkomplex Verkehr und Infrastruktur ausgespart geblieben sei. Von diesem Zusammenhang aber könne man Architektur nicht ablösen.

Wohl wahr – und doch ein Einwand, der eher die Grenzen eines solchen Kongresses aufzeigt. Immerhin stand der Schlusstag unter dem Motto „Architektur als kulturelles Leitmedium“. Doch um die Bürde eines solchen Anspruchs zu schultern, sind die Architekten allein nicht in der Lage. Der Berliner Kongress hat in vielerlei Verästelungen die Rahmenbedingungen der Architektur diskutiert, auch in erstaunlichem Umfang Fragen des Umgangs mit dem gebauten Erbe. Weniger stand im Blickpunkt die Darstellung neuer – und strahlend präsentierter – Bauten. Der UIA-Kongress hat sich ein Stück weit auf das Terrain aller denkbaren Weltprobleme vorgewagt. Das lässt ein solches Mammutunternehmen zerfransen.

Der nächste Kongress findet 2005 in Istanbul statt. An der Nahststelle von Okzident und Orient, von „erster“ und „dritter“ Welt gelegen, verspricht die türkische Metropole, ein idealer Ort für die Fortsetzung der Berliner Tagung zu werden. Das XXI. Treffen wird in die UIA-Annalen wohl eher als Zwischenstopp eingehen. Auch Weltkongresse müssen mit ihren Ressourcen haushalten.

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