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AUF Schlag: Dann geht doch!

Rainer Moritz über Pummelblitze und andere Aussteiger

Was ist nur los mit den Leuten? Früher höhlte steter Tropfen den Stein, und Bibelleser wussten um das „köstlich Ding, geduldig zu sein“. Davon will heute keiner mehr etwas wissen; alle machen sich aus dem Staub, sobald ihnen jemand dumm kommt. „Ich möchte lieber nicht“, diese Folgerung von Herman Melvilles wunderbarem Helden Bartleby greift um sich und führt zu Kurzschlussreaktionen, zu einem ständigen Kommen und Gehen.

Kaum hat TV-Talker Kerner von Eva Herman genug, hält es Wissenschaftsjournalist Johannes Bublath nicht einmal 75 Minuten bei Sandra Maischberger und UFO-Expertin Nina Hagen aus, nur weil Letztere in ihrer Jugend zu viel Westfernsehen gesehen hat. Fußballtrainer Wolfgang Frank verlässt die Offenbacher Kickers über Nacht; Pummelblitz Ailton will nicht in Duisburg bleiben und stattdessen mitten in der Saison mit Frau und Kindern in Brasilien spielen. Immer mehr Bundestagsabgeordnete verlassen den Plenarsaal, kaum dass ihnen widersprochen wird, und ignorieren sträflich Herbert Wehners Diktum „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen“. Tennisspielerin Martina Hingis wird des Kokaingenusses bezichtigt und beendet sofort ihre Karriere; der Deutsche Buchpreis 2007 geht an Julia Francks „Die Mittagsfrau“, einen Roman, der damit beginnt, dass eine Mutter ihren kleinen Sohn mit den Worten „Ich bin gleich zurück, wart hier“ am Bahnhof stehen lässt und das Weite sucht.

Wohin soll das führen? Welche Leitbilder werden da an die nächste Generation weitergegeben? 2,5 Millionen Menschen strömten in den letzten zwei Jahren lemmingartig in die Buchhandlungen, um Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“ zu kaufen und träumen nun davon, auf einer Südseeinsel ganz neu anzufangen. Damit ist Peer Steinbrück und dem Aufschwung in Deutschland nicht genutzt. Selbst Gewerkschaftsbosse, früher Meister des Aussitzens, sind vor derartigen Affekthandlungen nicht gefeit und begeben sich wie Lokführer Schell mitten im Verhandlungspoker in Kur – eine Haltung, die Altvordere wie Heinz Kluncker im Grab rotieren lässt.

Kein Trost ist es übrigens, dass es auch welche gibt, die wie Dieter Bohlen, Ronald Pofalla oder Carmen Nebel nicht daran denken, sich davonzumachen, und dass manche wie Howard Carpendale („Dann geh doch“) bestürzenderweise ihre Rückkehr ankündigen. Das hilft niemandem, zumal selbst die großartige Komödiantin Evelyn Hamann, wie ihr Weggefährte Loriot zu Recht monierte, mit dem Timing durcheinander geriet und sich voreilig von uns verabschiedete. Loriots „Na warte!“ sollte allen Null-BockVertretern eine Warnung sein.

Rainer Moritz

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