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AUF Schlag: Man tröste sich mit Wortbruchschokolade

Rainer Moritz findet Andrea Ypsilanti süßer als Immanuel Kant

Substantivzusammensetzungen, die etwas mit „-bruch“ zu tun haben, verheißen selten Erfreuliches. Zusammenbruch, Vertrauensbruch, Ehebruch, Einbruch, Bruchpilot, Bruchbude... das spricht für sich. Allenfalls mit Nussbruch bzw. Bruchschokolade verbinden sich angenehme Erinnerungen, an jene preiswerten Produktionsreste, die ich als armer Student bei Ritter-Sport im Waldenbucher Fabrikverkauf erstand. Kein Wunder, dass sich Frau Ypsilanti, die so gern die neue Heide Simonis geworden wäre (mit Verzicht auf Tanz- und Unicef-Einlagen), schwer tat, ihren Wortbruch als Qualitätsmerkmal der angestrebten Minderheitsregierung zu verkaufen. Selbst der Hinweis, dass sie schätzungsweise vier Fünftel ihrer Wahlversprechen einzulösen gedenke, änderte nichts.

Stellen Sie sich vor, ich würde meinem Sohn die Heute-gehen-wir-in-den ZooZusage aufkündigen und ihn damit trösten, dass ich beim Wir-schauen-uns-diePetterson-und-Findus-DVD-an-Versprechen Wort halten würde. Da wollen wir bitte nicht Äpfel und Kartoffeln durcheinanderbringen, wie Frau Ypsilanti. Andererseits tat mir die zuletzt fast leid. Angenehm ist das ja nicht, plötzlich von lauter Scheinheiligen umgeben zu sein, die einem mit Kants kategorischem Imperativ oder den zehn Geboten kommen und so tun, als hätte es in der deutschen Politik nach Wahlkämpfen nicht immer schon anders ausgesehen als vor Wahlkämpfen. Als seien wir an den Umgang mit Ehrenwortbrüchen, Wankelmut oder Umfallern nicht gewöhnt. Über diese Bruchstellen – um im Bild zu bleiben – des Parlamentarismus rege ich mich nicht mehr auf. Mit dem Akzeptieren der Linken dauert es nun, nach Ypsilantis Rückzieher vom Wortbruch, halt ein bisschen länger. Die CDU brauchte schließlich auch gut zwanzig Jahre, bis sie ihre Zuneigung zu den Grünen entdeckte. Das hätte niemand in den Achtzigern für möglich gehalten, als der vollbärtige Tübinger Grüne Schwenninger neben einem indignierten Helmut Kohl auf den Abgeordnetenbänken Platz nehmen durfte.

So ändern sich die Zeiten, gerade in Sachen Moral und Politik. Von all den Deutschen, die sich jährlich mit feuchten Augen das Eheversprechen geben, überlegen es sich 50 Prozent ja auch anders. Man sollte von Frau Ypsilanti nichts Unmenschliches verlangen, auch wenn sie ihr Abitur am Rüsselsheimer Immanuel- Kant-Gymnasium gemacht hat. Was den Nussbruch anbelangt, die positiv besetzte Ausnahme, ist festzuhalten, dass es in Deutschland erstaunlich wenige Menschen gibt, die so heißen. Gerade mal eine Handvoll findet sich im Telefonbuch – darunter kein Einziger aus Hessen.

Rainer Moritz

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