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AUF Schlag: Margrets Gespensterklause

Moritz Rinke besucht ein Westberlin-Museum auf den Kanaren

Auf Lanzarote gibt es die „Klause West-Berlin“, da bin ich am Wochenende hineingestiegen, steile Stufen in einen Schacht. Keller, Temperatursturz, brauner Holztresen, Schultheiss-Bier. „Hier zapft Margret aus dem Wedding!“ steht an der Zapfsäule. An den dunklen Holzwänden hängen Bilder von Hertha-Spielern, Erich Beer, Ludwig „Luggi“ Müller, Bernd Patzke, Gustav Eder, kenne ich alle nicht mehr, nur Harald Juhnke, der war aber nicht bei Hertha.

Ich bestelle ein Schultheiss bei Margret und gucke neben Patzke auf den Funkturm am Messegelände und auf die Gedächtniskirche. Hinter mir sitzen zwei Männer in einem blauen und einem weißen Pullunder mit ausgebeulten Jogginghosen, die Sandalen mit weißen Socken. Der eine starrt auf den Funkturm, der andere in sein Schultheiss-Glas. Ich habe mir schon neulich in Kairo Gedanken gemacht, was es mit der Idee der Kolonie auf sich hat und warum der Deutsche im Ausland immer so rückwärtsgewandt erscheint. Ich war auf der 100-Jahr-Feier des „Deutschen Archäologischen Instituts“, da liefen Hunderte von deutschen Altertumsforschern mit Bart herum, die alle aussahen wie Schliemann und einem deutschen Chor lauschten, der sich in Deutschland gar nicht mehr trauen würde, aufzutreten.

Margret schaltet den Fernseher ein, „Berliner Abendschau“. Ich sage: „Wie kriegen Sie denn das hier rein, das schaffe ja nicht mal ich zu Hause in Mitte über Satellit? Bestimmt bringen die was über die Rolling Stones, die sollen ja nach Berlin kommen, leben die alle überhaupt noch?“ „Margret!“, ruft der Mann mit dem blauen Pulli und hebt sein Glas. Der andere mit dem weißen Pulli hebt auch sein Glas und sagt: „Ick ooch.“ Margret zapft.

Ich schaue auf die „Abendschau“ und sehe einen Mann in einem komischen Anzug, der Hans Werner Kock heißt und eine Regatta auf der Havel moderiert. Das gibt’ s doch nicht, denke ich, das ist doch Video!? Ich will fragen: „Sagen Sie mal, wann war denn diese Regatta auf der Havel?“, plötzlich steht Margret vor mir, guckt mich an, als ob ich Rudi Dutschke wäre, und sagt auf Hochdeutsch: „Ich kassier jetzt ab!“ Ich werfe das Geld auf den Tresen und verschwinde.

Westberliner Gespenster, die nicht mal richtig antworten, denke ich, als ich die Steintreppe hochlaufe ins warme Licht, die ticken doch nicht richtig, sich uralte Regatten anzukieken und mir vorzuspielen, dass das frische Regatten seien, das wäre ja so, als ob die bärtigen Altertumsforscher in Kairo den ganzen Tag immer wieder Nofretete ausgraben. Ich gucke noch einmal den dunklen Schacht hinunter zur Klause. So ein Berlin habe ich wirklich noch nie gesehen!

Ich lief am Meer entlang und dachte an mein Berlin. Torstraße, Arkonaplatz, Latte Macchiatto im „Weltempfänger“, ein Becks im „103“. Natürlich hatte sich auch im neuen Berlin in letzter Zeit einiges seltsam entwickelt. Am Prenzlauer Berg wurde eine Art neues Baden-Württemberg errichtet, diese Gegend wurde immer aufgeräumter, während Charlottenburg verlotterte. Wenn man also das alte Berlin wiederhaben will, dann muss man gar nicht in solch eine Klause fahren,sondern nach Charlottenburg oder ins „Gesundbrunnen-Center“, wo auch Männer mit verbeulten Jogginghosen herumsitzen und ihr Bier an Plastiktischen trinken. Aber diese Klause?! Dieses Gespenster-Berlin? Hat es wirklich so etwas gegeben? Oder werden die Menschen so, wenn sie dasitzen und die Zeit aufheben, weil es vielleicht einmal ihre war?

Ich habe nichts über das Kommen der Stones in der „Berliner Abendschau“ erfahren können, bin aber gespannt, welche Gespenster dann aus ihren Klausen an den roten Teppich treten und abrocken werden. Margret, I can’t get no satisfaction! Und vielleicht sollte man diesmal einfach grauen Teppich auslegen. Das passt dann farblich besser.

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