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AUFGESCHLAGEN Zugeschlagen: Hohe Drecksackquote

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. (Heute Abend, 23.

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. (Heute Abend, 23.50 Uhr, Gäste Jeffrey Eugenides, Rolf Vollmann)

10) Andreas Altmann: Das Scheißleben

meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend. (Piper, 256 S., 19,99 €)

Wie der Titel dezent andeutet, schont Altmann in seinem Erinnerungsbuch weder sich noch andere. Aber so sehr mich die Lektüre überzeugt, dass es sicher kein Zuckerschlecken war, in einer dysfunktionalen Familie im bigotten Altötting als Sohn eines gewalttätigen Rosenkranzhändlers und einer gefühlskalten Mutter aufzuwachsen, ist mir diese Abrechnung eines über 60-Jährigen mit seinen Eltern zu larmoyant und exhibitionistisch.

9) Philipp Lahm: Der feine Unterschied (Antje Kunstmann, 256 S., 19,90 €)

Ein annehmbares Fußballsachbuch über den Strukturwandel der letzten zwei Jahrzehnte auf dem grünen Rasen. Ein unvermuteter Triumph des Abwehrstrategen Lahm: Wie er dem Verdacht begegnet, er sei homosexuell. Aus so einem Stoff macht man Abitursaufgaben.

8) Loriot: Bitte sagen Sie jetzt nichts

(Diogenes, 255 S., 21,90 €)

Absolut nichts darf von den goldenen Worten in diesem posthum veröffentlichten einsichtsreichen Interviewband von Deutschlands größtem Humoristen ablenken. Überlassen wir die Kritik dem sprechenden Hund Herrn Dr. Sommers: Hohoo-ohoohooo-ho-ohooo-hoo-ho!

7) Peter Scholl-Latour: Arabiens Stunde

der Wahrheit (Propyläen, 384 S., 24,99 €)

Die Bestandsaufnahme des analysestärksten Kenners der arabischen Welt nach der sogenannten Arabellion ist ernüchternd: Weil in vielen Staaten die scheinbar erkämpften Freiheiten verloren zu gehen drohen, und auch weil der Westen nichts gegen Saudi-Arabien und seine wahhabitische Hassprediger unternimmt. Regelrecht deprimierend ist aber, dass Scholl-Latour den arabischen Staaten weder die amerikanische noch die europäische Demokratie zur Nachahmung empfiehlt. Ich würde gern widersprechen, kann es nach der Lektüre dieses Buchs aber nicht. Ein Bildungserlebnis!

6) Dieter Nuhr: Der ultimative Ratgeber

für alles (Bastei Lübbe, 304 S., 12, 99 €)

Ein kurioses Buch: unterhaltsam, überflüssig. Gelegentlich aber auch hell, klar, wahr. So wenn Nuhr eine soziologische Meditation über die „Drecksackquote“ anstellt und erkennt: „Die Anzahl der verabscheuungswürdigen Egoisten ist unter Bankdirektoren wie unter Hartz-IV-Empfängern exakt gleich groß.“

5) Martin Wehrle: Ich arbeite in einem

Irrenhaus (Econ, 288 S., 14, 99 €)

Statt diesen mit dubiosen Fallgeschichten angefetteten Ratgeber aus dem Wahnsinn der Arbeitswelt möchte ich jedem, der etwas über die Spielregeln des Erwerbsleben in Deutschland erfahren möchte, lieber die Romane von Wilhelm Genazino empfehlen. Im neuen „Wenn wir Tiere wären“ wechselt ein freiberuflicher Architekt in die Festanstellung und wird darüber aus gutem Grund sehr unglücklich.

4) Gaby Köster: Ein Schnupfen hätte

auch gereicht. (Scherz, 264 S. 18,95 €)

Ein vulgäres, narzisstisches Machwerk. „Während ich versuchte, mit meinem kleinen Kind die Zeit sinnvoll zu verbringen, musste ich in meiner Parallelwelt als Rita lernen, wie man eine Supermarktkasse richtig bediente! Preise eintippen, Wechselgeld – das komplette Programm, damit das in der Serie gekonnt und schnell aussah!“ In einem Punkt bin ich mit Frau Köster ausnahmsweise einig: einfach mörderisch, was einem beim Fernsehen so abverlangt wird!

3) Dirk Müller: Cashkurs

(Droemer, 399 S., 19,99 €)

Dieses Buch eines früheren Aktienhändlers ist so absurd wie der Kapitalismus. Müllers Common-Sense-Ratschläge sind albern banal: keine Verträge unterschreiben, die man nicht versteht; ein Haushaltsbuch führen; in Geldfragen keinen Gurus vertrauen. In Zeiten der Krise entfalten sie das Trostpotential eines fröhlichen Pfeifens im Walde. Nichts daran ist falsch. Aber als Buch ist das so spannend wie ein Leitfaden, in welchen Mülleimern man am meisten Pfandflaschen findet.

2) Helmut Schmidt, Peer Steinbrück:

Zug um Zug (Hoffmann und Campe,

320 S., € 24,99 €)

So unerheblich, schönfärberisch und manipulativ wie alle Wahlkampfbroschüren ist diese nicht. Das Gespräch zwischen Altkanzler und Prätendent jagt so hurtig und anregend durch die Wissenskreise, dass ich schon geneigt war, es zu loben. Bis ich auf Seite 157 den Satz las: „Ich werde mich dann zur Kanzlerkandidatur äußern. wenn mich der SPD-Vorsitzende danach fragen sollte.“ So erobert man die Position des Kassenwarts beim HSV, nicht aber das Bundeskanzleramt.

1) Walter Isaacson: Steve Jobs

(Deutsch von u.a. Antoinette Gittinger, Oliver Grasmück, Dagmar Mallett, Gabriele Werbeck, C. Bertelsmann, 704 S., 24,99 €)

Dass die Welt immer die falschen Götter anbetet, ließ sich im Oktober verfolgen, als Apple-Mitgründer Steve Jobs und der Medientheoretiker Friedrich Kittler starben. Während die Nachrufe und sonstigen Elogen, zu der man diese absurd aufgeschwemmte Biographie zählen darf, aus dem PR- und Vertriebsfachmann Jobs einen neuen Leonardo da Vinci zu machen versuchten, wurde das echte Genie Friedrich Kittler in aller Medienstille zu Grabe getragen. Verkehrte Welt!

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