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Der Literaturkritiker und Moderator des ARD-Magazins "Druckfrisch", Denis Scheck.

© ddp

Aufgeschlagen Zugeschlagen: Laune machen

Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die "Spiegel"-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung "Druckfrisch".

10) Elfriede Vavrik: Nacktbadestrand (Edition a, 208 Seiten, 19,90 €)
Sicher das kurioseste Buch, seit ich diese Bestsellerliste bespreche: eine Mischung aus kruder, harter Pornografie in Prosa und der autobiografischen erotischen Erweckungsgeschichte einer 79-jährigen Frau, die 40 Jahre keinen Sex mehr hatte und dies nun kurz vor Torschluss nachholen möchte. Als Literatur sind diese Feuchtgebiete aus dem Jurassic Park ein schlichtes Grauen, als Dokument einer späten Selbstfindung nötigt mir dieses Buch allerdings einen gewissen Respekt ab.

9) Susanne Fröhlich: Und ewig grüßt das Moppel-Ich (Krüger Verlag, 255 S., 14,95 €)

Aber wieso denn eigentlich? Dieses Plädoyer gegen den Schlankheitswahn, eine auf Buchlänge gestreckte, quälend redundante Selbstrechtfertigung einer Autorin für ihr Gewicht, ist vor allem eins: viel zu dick. Für mich hingegen ist die neue Fröhlich die schönste Möglichkeit, rasch ein überflüssiges Pfund zu verlieren.

8) Kester Schlenz: Alter Sack, was nun? (Goldmann, 224 Seiten, 16,95 €)

„Am Ende gibt es ja nur zwei Wege: älter werden mit guter oder älter werden mit schlechter Laune“, schreibt Kester Schlenz. Da hat er sicher recht. Zwar sagt Schlenz lauter richtige Dinge – etwa dass mehr Filme für Ältere ins Kino kommen müssten, der Verkauf von Popcorn dort eine Erfindung des Teufels sei und man auch mit über 40 mal ins Theater gehen oder ein Buch lesen darf. Ich aber habe beschlossen, ohne dieses komplett unnötige Buch voll banaler Philosopheme und alberner Gemeinplätze älter zu werden. Und das macht mir sehr gute Laune.

7) Richard David Precht: Wer bin ich und wenn ja wie viele? (Goldmann, 400 Seiten, 14, 95 €)

In einfacher Sprache und leicht fasslichen und einprägsamen Bildern vermittelt Richard David Precht einen Überblick über Philosophie und Hirnforschung, also über jenes Wissen, das wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts darüber haben, was uns zu Menschen macht.

6) Margot Kässmann: In der Mitte des Lebens (Herder, 160 Seiten, 16, 95 €)

In der Kirche schweigen müssen Frauen schon lange nicht mehr. Aber wenn sie das Wort ergreifen, sollte es etwas konziser geschehen als hier. Dieses schwurbelige Buch der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche übers Älterwerden kommt zwar vom Hölzchen aufs Stöckchen, aber nie auf den Punkt.

5) Miriam Meckel: Brief an mein Leben (Rowohlt, 224 Seiten, 18,95 €)

Ich mag Miriam Meckel, ich hasse dieses Buch. Es liest sich wie die Fleißarbeit einer Streberin, die jetzt auch noch aus ihren Depressionen Aufmerksamkeitskapital schlägt: ärgerlich aufgrund seiner verblüffend platten Schreibe und Faktenarmut, verleitet es durch seine schiere Existenz zu der Schlussfolgerung, dass nicht Burnout die Diagnose dafür ist, worunter die Autorin leidet, sondern Logorrhoe.

4) Manfred Lütz: Irre (Gütersloher Verlagshaus, 208 S., 17,95 €)

Ein wahrhaft informatives, ein in seiner Argumentation ebenso scharfsinniges wie schlagfertiges Plädoyer gegen die Ausgrenzung psychisch Kranker, geschrieben von einem sprachmächtigen Psychiater und Theologen.

3) Eckhart von Hirschhausen: Glück kommt selten allein (Rowohlt, 384 Seiten, 18,90 €)

Der Autor sucht sein Heil in der Zenartigen Wiederholung von Weisheiten wie: „Ärger, den man nicht gehabt hat, hat man nicht gehabt.“ Analog möchte ich als Kritiker sagen: „Bücher, die man nicht gelesen hat, hat man nicht gelesen.“ Zu meinem Ärger habe ich dieses aber gelesen.

2) Helmut Schmidt, Fritz Stern: Unser Jahrhundert (C. H. Beck, 288 Seiten, 21,95 €)

Ab wann wird Reichtum obszön? Wer hat eigentlich mehr auf dem Kerbholz: Bush junior oder Bush senior? Und weshalb hätte unter den Bedingungen der Mediendemokratie heute ein Bismarck weniger Chancen als ein Franz Josef Strauss? Dieses Buch ist ein echter Lichtblick: Zwei Menschen, ebenso gebildet wie gescheit, Altkanzler Helmut Schmidt und Historiker Fritz Stern, eine Art Waldorf und Statler des Geistes, sprechen, streiten und spekulieren über Sternstunden der Weltgeschichte.

1) Michael Mittermeier: Achtung Baby! (Kiepenheuer & Witsch, 259 Seiten, 14,95 €)

Viele Menschen finden diese Aneinanderreihung flauer Gags über die mitunter absonderlichen Stimmungsschwankungen und Heißhungerattacken Schwangerer sowie die Pipi-, Kacka- und Kotzgewohnheiten von Kleinkindern offenbar lustig. Mich hat dieses Buch nur zweimal zum Lachen gebracht: als ich hörte, welchen Vorschuss der Autor dafür bekam, und als ich sah, dass es auf Platz eins der deutschen Bestsellerliste steht.

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