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Der Literaturkritiker und Moderator des ARD-Magazins "Druckfrisch", Denis Scheck.

© ddp

Aufgeschlagen - Zugeschlagen: Unsichtbare Folterknechte

Lesen oder nicht lesen? Der Literaturkritiker Denis Scheck bespricht die aktuelle "Spiegel"-Bestsellerliste Belletristik.

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (heute 23.35 Uhr, Gäste: Günter Grass, Hakan Nesser).

10) Jilliane Hoffman: Mädchenfänger (Deutsch von Sophie Zeitz, Rowohlt Verlag, 461 Seiten, 19,95 €)

Die ganze Ödnis dieses Gewaltpornos um einen hobbymalenden Serienkiller und einen Ermittler, dessen Tochter von zu Hause weggelaufen ist, enthüllt sich in stilistisch ungelenken Sätzen: „Doch als Foxx dahinterkam, dass Zo Bobby genehmigt hatte, in der Sonderkommission zu bleiben, nachdem Bobbys vermisste Tochter möglicherweise eins von Picassos Opfern war, war die Kacke erst richtig am Dampfen.“ Zu unserem Unglück enthält dieses Buch gut 4500 solcher Sätze.

9) Stephenie Meyer: Bis zum Ende der Nacht (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen, 788 Seiten, 24,90 €)

Das Finale von Meyers Version der Geschichte des hässlichen Entleins Bella Swan, die an der Seite des ebenso schönen wie gesitteten Vampirs Edward Cullen die in ihrem Namen liegende Prophezeiung leider nicht erfüllt, sondern zu einem dummen Huhn mutiert.

8) Alyson Noel: Schattenland (Deutsch von Marie-Luise Bezzenberger, 416 Seiten, 17,99 €)

Romanheldin Ever sucht ein Gegengift für ihren unsterblichen Geliebten Damen, wird zwischendurch angesichts ihres reizvollen Brötchengebers namens Jude an ihren Gefühlen irre und muss sich dabei mit den Finten eines Fieslings namens Roman auseinandersetzen. Oder wie es in dem Faselsprech heißt, in dem Noel diesen bedrückend dämlichen Schundroman verfasst hat: „Ursache und Wirkung, wie du mir, so ich dir. Säen und Ernten, alles rächt sich irgendwann. Ganz gleich, wie man es ausdrückt, am Ende ist es dasselbe.“

7) Stephenie Meyer: Biss zum ersten Sonnenstrahl (Deutsch von Katharina Diestelmeier, 205 Seiten, 15,90 €)

Diese Nachschrift zu Meyers Blut-und-Hoden-Story erzählt die Lebensgeschichte der 15-jährigen Bree: Vom prügelnden Vater aus dem Elternhaus vertrieben, driftet die sie auf der Straße in Seattle nicht etwa in die Prostitution oder die Drogenszene ab. In die Fänge eines Vampirs treibt Bree vielmehr der Hunger auf einen Hamburger. So simpel ist nicht nur Brees Charakter, sondern auch die gesamte Handlung dieses buchähnlichen Gegenstands.

6) Leonie Swann: Garou (Goldmann Verlag, 415 Seiten, 19,95 €)

Zu den großen Tricks der Literatur zählt, dass sie uns aus der Haut fahren und – zum Beispiel – ins Fell eines Schafs schlüpfen lassen kann. Ihre Qualität hängt davon ab, ob der Autorin eines Schafskrimis dann Sätze einfallen wie: „Die Luft war kalt wie die Klinge des Schermessers.“ Auch wenn Swann die Fortsetzung nach dem gleichen Muster wie ihren Bestseller „Glennkill“ gestrickt hat: „Garou“ ist ein gutes Buch.

5) Jussi Adler-Olssen: Erbarmen (Deutsch von Hannes Thiess, dtv, 419 Seiten, 14,90 €)

Der große Erfolg dieses ordentlichen dänischen Krimis um zwei abgehalfterte Polizisten, die einen alten Entführungsfall neu aufrollen, hat etwas mit skandinavischem Sozialneid und dem bösen Blick zu tun, mit dem die aufs Abstellgleis Geschobenen ihre Gesellschaft analysieren. Da haben Politiker einen „auf zahllosen Empfängen gemästeten Körper“, und wenn ein Unternehmer sagt: „In unserer Branche ist viel Bewegung. Alle suchen ständig neue Herausforderungen“, kommentiert dies der Kommissar mit: „Gab der Idiot wirklich zu, dass er nicht in der Lage war, seine Leute zu halten?“

4) Bernhard Schlink: Sommerlügen (Diogenes Verlag, 288 Seiten, 19,90 €)

Zugegeben: Mitunter ist Schlinks Stil hölzern und nah am Verwaltungsdeutsch. Und nein, Dramaturgie ist seine Spezialität wahrlich nicht, manche seiner Erzählungen sind schlicht zu vorhersehbar gebaut. Und doch treffen diese Geschichten in ihren besten Momenten den Leser mit einer existenziellen Wucht, die in der deutschen Gegenwartsliteratur selten ist.

3) P. C. Cast und Kristin Cast: Erwählt (Deutsch von Christine Blum, FJB Verlag, 442 Seiten, 16,95 €)

Das hat nach Stephenie Meyer und J. K. Rowling noch gefehlt: eine Romanserie über ein amerikanisches Vampirinternat. Die Sterilität dieser fantasielosen Retortenromane um die Jungvampirin Zoey wird nur noch von dem stilistischen Ungeschick des aus Mutter und Tochter bestehenden Autorenduos übertroffen: „Ich kam mir vor, als sei ich in einen fremden Albtraum versetzt worden, in dem ich von unsichtbaren Folterknechten mit Dolchen und Speeren gequält wurde“, heißt es auf Seite 394. Das fasst zwar mein Leseerlebnis einigermaßen zusammen. Aber kann mir jemand sagen, warum die Folterknechte in fremder Leute Albträume unsichtbar sein müssen?

2) Tommy Jaud: Hummeldumm (Argon Verlag, 320 Seiten, 13,95 €)

Abstoßend vulgär ist dieser Roman nicht, weil seine Dialoge Drohungen enthalten wie dass jemandem „die Sacknaht bis zum Hals“ aufgerissen werde, oder: „Dem gehört so der Arsch versohlt, dass er drei Jahre auf kein Rad mehr steigt.“ Vulgär wird dieser Roman über deutsche Urlauber in Afrika durch die nervige Lachspur seines dumpfen Humors und den Muff im Gefängnis der Schenkelklopfermentalität, in das Jaud seine Figuren sperrt.

1) Ferdinand von Schirach: Schuld (Piper Verlag, 208 Seiten, 17,95 €)

Angesichts des unsäglichen Schrotts auf dieser Bestsellerliste ist diese Sammlung von Anekdoten aus der Feder eines Strafverteidigers fast ein akzeptables Buch. Spannend sind die sehr simplen Stories um vermeintliche Kinderschänder, scheinbar tumbe Drogendealer und abgestumpfte Vergewaltiger allerdings. Bloß liefern sie wenig mehr als die Zeitungsseite mit den Polizeiberichten und den vermischten Meldungen. Mir scheint, sie leben hauptsächlich vom Kick des Authentischen, vom Grusel des „Das- haben-Sie-alles-selbst-erlebt!“. Das aber ist ein geborgtes Leben, das Gegenteil von Literatur. Wer etwas über Recht und Gerechtigkeit erfahren möchte, lese William Gaddis’ Roman „In letzter Instanz“ – besser als tausend Bestseller.

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