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Moritz Rinke

© dpa

Aufschlag: Die Schwarzen Witwen

Moritz Rinke über Autoren, riesige Spinnen und Johnny Depp ohne Text.

Hoffentlich halten die Drehbuchautoren länger durch als die Lokführer! Der Streik der Hollywoodautoren befindet sich jetzt in der sechsten Woche, sie fordern mehr Urheberrecht und die Beteiligung an DVD-Verkäufen, doch bisher konnte keine Einigung erzielt werden mit den Film- und Fernsehproduzenten.

Mittlerweile sendet David Lettermans Late-Night-Show nur noch Wiederholungen, die Serie „Desperate Housewives“ hat keine Fortsetzung mehr, ebenso „Grey’s Anatomy“ und „The Office“. Johnny Depp soll im Februar in der Produktion „Shantaram“ die Titelrolle spielen, die Geschichte eines Heroinsüchtigen, der aus dem Gefängnis nach Indien flieht und ein Heilsbringer wird. Mehr weiß Johnny Depp auch nicht. Genauso geht es Bruce Willis in „Pinkville“, er weiß nur, dass es sich um einen Vietnamfilm handelt.

Ich kann mir richtig vorstellen, was in Hollywood los ist! Lauter flehende dicke Produzenten, die vor schmalschultrigen Drehbuchautoren in ihren Sesseln zusammensacken: „Bitte, bitte, schreib doch mal einen Satz, einen Satz bitte! Johnny Depp, was soll der denn sagen in Indien?? Bruce Willis in Vietnam?! Erst mal jemand totschießen und dann was sagen?! Oder erst was sagen und dann jemand totschießen??“ Ende November solidarisierten sich sogar die deutschen Drehbuchautoren mit ihren Kollegen in Amerika vor dem Brandenburger Tor. Das war ein sehr seltsames Bild, 80 deutsche Autoren vor dem Brandenburger Tor, frierend DVD-Honorare fordernd. Sie sahen als Gruppenbild irgendwie so klein aus und traurig, vielleicht war es aber auch nur das mächtige Tor im Hintergrund, das sie so schmächtig aussehen ließ.

Auf einer Toilette in Köln habe ich einmal bei der Gala zum Deutschen Fernsehpreis einen Drehbuchautor weinen sehen. Er hatte die beste Serie des Jahres geschrieben, aber dem Produzenten fiel bei der Dankesrede live in der ARD der Name nicht mehr ein, er sagte: „Ich glaube, er heißt Markus“. Er hieß aber Michael, und seine Tränen tropften ins Pissoir.

Letzte Woche war ich bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises in Treptow. Ein Kameramann hielt eine furchtbar aggressive Rede über ein „fucking horse“, er sagte noch „They gave me a fucking text, but I fuck without this fucking text“, oder so ähnlich. Wie unfreundlich, respektlos und brutal gegenüber dem Autor der Filmpreisgala, dachte ich und stellte mir vor, wie manche die Autoren wohl am liebsten mit allen Mitteln zur Räson bringen würden, weil sie ja Amerika eindeutig schaden, der Streik soll mittlerweile schon fast 700 Millionen Dollar gekostet haben.

Auf den Tischen der Filmpreisverleihung stand Wodka, und als ich in zwei Stunden eine halbe Flasche getrunken hatte, sah ich plötzlich in Guantanamo diesen fiesen Kameramann, Mehdorn von der Deutschen Bahn und auch die Produzenten von „Desperate Housewives“, „Shantaram“ und „Pinkville“ vor 800 Drehbuchhäftlingen hinter einem Elektrozaun auf und ab gehen. Nur Mehdorn war noch einigermaßen nett und beugte sich über einen Drehbuchlokführer: „Johnny Depp“, sagte Mehdorn, „wie soll er denn aus dem Gefängnis nach Indien kommen?? Du bringst jetzt sofort Bruce Willis nach Vietnam mit deiner Scheißlok!“

Manchmal habe ich richtig schlimme Fantasien, da dringen plötzlich eine halbe Minute nach Beendigung eines Drehbuchs Produzenten und Regisseure als riesige Spinnen in die Schreibstuben der Autoren und fressen sie auf. Die „Schwarzen Witwen“ sind das, „The Black Spiders“, aus der Gattung der Haubennetzspinnen, sie fressen nach der Kopulation die kleineren Männchen auf. Wenn dann ein Film rauskommt, hat es das kleine Männchen quasi nie gegeben. An diese „Fucking Black Spiders“ muss ich immer denken, wenn ich ins Kino gehe.

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