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Ein Puppe, verfügbar für jeden. Eisa Jocson reflektiert in „Host“ die Abgründe der philippinischen Sex-Industrie.

© Andreas Endermann

Auftakt des Festivals "Tanz im August": Lass’ die Hosen runter

Politisch, pathetisch, verrückt: Zur Eröffnung des Berliner Festivals „Tanz im August“.

Von Sandra Luzina

Mit einem Freudensprung geht es los. Bei der Eröffnung von „Tanz im August“ konnte HAU-Chefin Annemie Vanackere die gute Nachricht verkünden, dass ihr Etat ab 2016 erhöht wird. Und dass von den 650 000 Euro, die das HAU zusätzlich erhält, 200 000 Euro an das Tanz-Festival gehen. Auch der Hauptstadtkulturfonds stockt die Förderung des Festivals um 200 000 Euro auf. So wird es künftig stärker als Produzent auftreten können. Für Kulturstaatssekretär Tim Renner ist der Tanz eine „Schlüsseldisziplin“ in Berlin. In seiner Eröffnungsrede erklärte er: „Ich bin ein Freund des Tanzes, weil er schon immer offen war, sich mit anderen Künsten zu verschränken.“

Nicht nur Annemie Vanackere und Festivalleiterin Virve Sutinen, die ganz ihrer Nase gefolgt ist und ein Programm mit vielen Überraschungen zusammengestellt hat, strahlten an diesem Abend. Mit dem Avantgarde-Klassiker „Available Light“ gelingt dem Festival ein glanzvoller Auftakt. Das Revival wirft ein neues Licht auf das Werk, das 1983 als erste und einzige Zusammenarbeit zwischen der Choreografin Lucinda Childs, dem Komponisten John Adams, einem Vertreter der Minimal Music, und dem Stararchitekten Frank O. Gehry entstand. Die Bühnenkonstruktion von Frank O. Gehry mit ihren Industrial-Anklängen passte perfekt ins Haus der Berliner Festspiele. Wie Childs aus einfachen Schritten, Drehungen und Sprüngen wiederkehrende und dabei ständig wechselnde Muster entwickelt, ist faszinierend. Unbeirrbar ziehen die Tänzer in ihren roten, schwarzen und weißen Trikots ihre Bahnen, mal in Parallelen, mal in ausgetüftelten Asymmetrien, und entwickeln einen tollen Drive. Der Tanz hat bei aller formalen Strenge fast etwas Rauschhaftes. Alles ist Veränderung – das zeigt der Minimal Dance von Lucinda Childs auf luzide Weise.

Ist das nun Kunst oder nicht?

Die Affinität zwischen Tanz und bildender Kunst wird beim Festival einmal andersrum ausgelotet. Virve Sutinen hat den Sammler Axel Haubrok eingeladen, das Hebbel-Theater für einen Tag lang in einen Kunstraum zu verwandeln. Die Frage „Ist das nun Kunst oder nicht?“ ist hier durchaus erlaubt. Nicht nur bei den AC/DC-Snakes von Philippe Parreno, Gebilden aus ineinandergesteckten Adaptern oder den Wasserhähnen von Elmgren & Dragset. Der enthusiastische Axel Haubrok führte selbst durch die Ausstellung – ihm gelingt es spielend, spröde Konzeptkunst zugänglich zu machen. Haubrok hat die Werke von Künstlern wie Olafur Eliasson, Andreas Slominski, Simon Starling nicht nur neu zusammengestellt, er bringt die Kunst auch in Bewegung und inszeniert einen anderen Blick auf den Theaterraum. Besondere Attraktion ist der aus 95 verschiedenen Blüten komponierte Blumenstrauß von Willem de Rooij, der in der Mitte des Zuschauerraums platziert ist.

Rosemary Butcher, einer Ikone des britischen New Dance, widmet der „Tanz im August“ eine mehrteilige Retrospektive. In der Akademie der Künste am Hanseatenweg waren zum Auftakt zwei neuere Arbeiten zu sehen. Die Videoinstallation „Secrets of the Open Sea“ kreist wie die „Test Pieces“ um den Prozess des Erinnerns. Die Tänzerin Lucy Suggate sieht mit der Sixties-Frisur aus wie die junge Butcher. Immer wieder kippt sie aus der Achse, sinkt auf die Knie oder fällt zu Boden, während die Kamera sie umkreist. Sie scheint ganz im Banne einer schmerzlichen Vergangenheit, die hier reinszeniert werden muss. In „Test Pieces“ ordnen die fünf Tänzer in Arbeitsklamotten die dicken Seile auf dem Boden immer wieder neu an, ohne dass ein Muster erkennbar würde. Ganz nüchtern gehen sie dieser Tätigkeit nach, obwohl sie immer absurder anmutet. Kurze Ausbrüche sind eingestreut, doch die Körper wirken begrenzt, gefesselt durch die Taue und eine unlösbare Aufgabe.

Nach der britischen Kühle wurde es dann recht schwül in den Sophiensälen: Eisa Jocson untersucht in „Host“ die Rolle philippinischer Hostessen in der japanischen Unterhaltungsindustrie. Jocson legt nach und nach alle Kleider ab. Zunächst tritt sie im Glitzer-Kimono auf und setzt sich die Teufelsmaske aus dem Kabuki-Theater auf. Züchtig senkt sie den Blick, wenn sie den anmutigen Fächertanz der Geishas interpretiert. Als devote Dienerin kniet sie schon mal vor den Zuschauern nieder. In Hotpants verwandelt sie sich dann in eine aufreizende Sex-Maschine und eine Service-Marionette. Wie eine verbogene Puppe liegt sie gegen Ende da, verfügbar für jeden. Der Zuschauer darf in „Host“ einer gewissen Schaulust frönen, doch das Bild, das Eisa Jocson von der Situation dieser „Gastarbeiterinnen“ in der Sex-Industrie zeichnet, ist trostlos.

Ab in die Wanne mit den Eiswürfeln

Geradezu entfesselt tobten dann Elina Pirinen und ihre beiden Kolleginnen über die Bühne des HAU 3. Schostakowitschs monumentale Leningrader Sinfonie wird in „Personal Symphonic Moment“ in voller Länge dargeboten. Pirinen, die auch klassische Musik studiert hat, lässt der Musik den Vortritt. Mehr als zehn Minuten passiert nichts, außer dass Nebel auf die Bühne gepustet wird. Endlich erscheinen die drei Tänzerinnen in Pastellkostümen, sie lauschen der Musik und scheinen von ihr überwältigt. Doch dann lassen sie flüssige Farbe über den Kopf rinnen und zetteln eine Materialschlacht an.

Dem Pathos der Musik stellen die Performerinnen ganz banale, komische und verrückte Momente gegenüber. Elina Pirinen räsoniert in einem lustigen Sprechgesang, ob sie eine Komponistin ist oder doch nur eine gewöhnliche Biertrinkerin. Die Frauen küssen und piesacken einander. Sie lassen die Hosen runter und amüsieren sich mit spaßigen Obszönitäten. Wie Macker treten die wilden Mädchen auf und richten ein Chaos an. Zerstörung und Zerbrechlichkeit, Exzess und Ernüchterung: Furchtlos bringen die Finninnen die Ambivalenzen zum Ausdruck. Am Ende dieser Tour de force sind nicht nur die Tänzerinnen nassgeschwitzt, sondern auch die Zuschauer. Einmal taucht eine der Tänzerinnen ab in eine Wanne mit Eiswürfeln. Finninnen wissen eben, wie man einen kühlen Kopf bewahrt.

„Tanz im August“ läuft bis zum 4. September, Infos: www.tanzimaugust.de

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