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Kultur: Aura Rosenberg-Ausstellung: Berliner Kindheit in Bildern

In seiner "Berliner Kindheit um 1900" bemerkt Walter Benjamin, dass der Umkreis des Fotografierbaren an der modernen Stadt schrumpfe. Wie die Bahnhöfe, so gebe auch die Fotografie nicht mehr die echte Einfahrt in das Weichbild der Stadt.

In seiner "Berliner Kindheit um 1900" bemerkt Walter Benjamin, dass der Umkreis des Fotografierbaren an der modernen Stadt schrumpfe. Wie die Bahnhöfe, so gebe auch die Fotografie nicht mehr die echte Einfahrt in das Weichbild der Stadt. "Der Bahnhof gibt gleichsam die Anweisung auf ein Überraschungsmanöver, aber auf ein veraltetes, das nur auf das alte stößt und nicht anders ist es mit der Photographie".

Als Benjamin 1932 in erzählerischen Fragmenten und Motiven diesen Rückblick auf das Berlin seiner Kindheit schrieb, war das "Weichbild" im späten 19. Jahrhundert gemeint, jene einzige Seite der Stadt, so Benjamin, die "wirklich der photographischen Aufnahme zugänglich ist".

Nun hat es jemand im Heute gewagt, der Benjaminschen Kinderwelt mit der Kamera nachzustellen, jemand der ausgerechnet den Namen Aura trägt - "Aura", einer von Benjamins Schlüsselbegriffen. Zufall. Und wieder geht es um eine Berliner Kindheit - das jedoch ist kein Zufall, sondern bewusste Intention.

Vor acht Jahren fing die New Yorkerin Aura Rosenberg an, Fotos ihrer Tochter Carmen zu machen, die in Berlin in den Kindergarten kam. Rosenberg war zusammen mit ihren Mann, dem DAAD-Stipendiaten und Künstler John Miller, in ein Land gekommen, das ihre Eltern 1939 Richtung Amerika verlassen hatten. Aura Rosenberg fand an Berlin Gefallen: Hier verschränkte sich auf eigenartige Weise die Kindheit der Tochter mit der Erinnerung an die Kindheit von deren Großeltern.

Als Medium der Vermittlung fungierte Aura Rosenberg selbst. Auch nach dem Ende ihres einjährigen Berlin-Aufenthalts kam die Amerikanerin immer wieder für Monate in die Stadt und wandelte, ausgerüstet mit Kamera und Benjamins Buch, auf dessen Spuren. Nun werden ihre Fotos in der daad-galerie ausgestellt.

Natürlich darf man von Rosenbergs "Berliner Kindheit" um 2000 keine Übersetzung des Benjaminschen Textes erwarten, auch wenn die Siegessäule als Torte am Eingang der Galerie das Motto des Buches wörtlich nimmt: "O braungebackene Siegessäule mit Winterzucker aus den Kindertagen."

Wie ahmt man die Wahrnehmung der Stadt aus der Perspektive eines Kindes fotografisch nach? Aura Rosenberg hat gar nicht erst das Unmögliche versucht. Ihre Farbfotos zeigen nur die Motive, von denen die Kapitel in der Berliner Kindheit sprechen: Die Mosaiken der "Siegessäule", die Benjamins an Dantes Höllenkreise gemahnten, der zur Tasche aufgerollte "Strumpf", der lehrte, das Form und Inhalt eins sind, oder das "Karussell", wo das Kind als "treuer Herrscher über einer Welt thronte, die ihm gehörte." Manche Motive haben sich seit Benjamins Zeiten nur wenig verändert, etwa die verhasste Badeanstalt in der "Krummen Straße". Hier wie andernorts fotografierte Rosenberg sachlich und genau, wie meist benutzte sie für den Kamerablick ein Stativ. Manchmal setzt die Fotografin das Benjaminsche Motiv in die eigene Gegenwart fort. Etwa wenn sich zum "Kaiserpanorama", das sie im Museum ablichtete, eine Aufnahme aus dem Cybercafé gesellt.

Viele der schön anzusehenden Bilder von einer Kindheit um 2000 gewinnen erst dadurch ihre Spannung, dass der Betrachter deren verborgene Referenz zur "Berliner Kindheit um 1900" kennt. Im Raum zwischen der Ferne, die der Benjaminsche Text suggeriert und der Nähe der Gegenwart, welche das Foto präsentiert, leben die Bilder dieser Ausstellung.

Mit Benjamin könnte man sie vielleicht dialektische Bilder nennen, da sie nicht dingfest zu machen sind. Denn auch die fotografierten Gegenstände liefern nur den Anlass zu diesen anderen, weder sichtbaren noch lesbaren Bildern, die zwischen Foto und Lektüre, Erinnerung und Einbildungskraft oszillieren.

Ronald Berg

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