zum Hauptinhalt

Kultur: Aus Anlass der Berlinale präsentiert der DAAD das bemerkenswerte Werk der finnischen Filmkünstlerin

Eine gespenstische Szene, und doch ist sie wunderschön. Gerade ist eine Gruppe junger Leute auf ihrem Weg ins Restaurant auf der gegenüberliegenden Uferseite im Eis eingebrochen, nachdem sie kurz zuvor noch gefragt hatten, wie lange wohl der Mensch bei solchen Temperaturen überlebt: drei, vier Minuten vielleicht, Frauen jedenfalls länger als Männer.

Eine gespenstische Szene, und doch ist sie wunderschön. Gerade ist eine Gruppe junger Leute auf ihrem Weg ins Restaurant auf der gegenüberliegenden Uferseite im Eis eingebrochen, nachdem sie kurz zuvor noch gefragt hatten, wie lange wohl der Mensch bei solchen Temperaturen überlebt: drei, vier Minuten vielleicht, Frauen jedenfalls länger als Männer. Nach einem kurzen, verzweifelten Überlebenskampf sinken die Fünf also nieder auf den Grund. Eine Stimme aus dem Off erzählt zu zauberhaften, elegischen Unterwasserbildern, was es dort zu sehen gibt. "Consolation Service", der jüngste Film der finnischen Künstlerin Eija-Liisa Ahtila war die Entdeckung des vergangenen Jahres auf der Biennale von Venedig. Mitten im heißen Kunstsommer, im Giardini-Rummel, gab es da einen Beitrag, der die Vorüberhastenden in Bann hielt und zum Bleiben zwang. Am Ende hat die 1959 geborene Künstlerin den Ehrenpreis der Biennale erhalten, für viele keine große Überraschung mehr.

Seit dem vergangenen Jahr weilt Eija-Liisa Ahtila als Stipendiatin des DAAD in Berlin. Die Juroren hatten den richtigen Riecher für einen zunehmend gefragten Gast, der in ganz Europa auf Gruppenausstellungen herumgereicht wird. Aus Anlass der am 9. Februar beginnenden Berlinale präsentiert nun der DAAD die eigentlich erst seit wenigen Jahren auf der internationalen Bühne agierende Künstlerin, die 1995 ihr Studium am American Film Institute in Los Angeles beendete. Entsprechend schmal ist ihr µuvre: drei größere Arbeiten zwischen zehn und dreißig Minuten, vier nur wenige Sekunden dauernde Spots für Fernsehsender sowie eine Serie Fotografien.

Doch es reicht allemal, um die obere Halle der Neuen Nationalgalerie zu füllen und dem Kinobusiness gegenüber auf dem Potsdamer Platz eine künstlerische Position entgegenzusetzen. Denn Eija-Liisa Ahtila arbeitet zwar mit den Mitteln des Films - genauer: mit den Möglichkeiten der Dokumentation oder des Musikclips -, doch sie erfindet für sich eine völlig neue Gattung. Vielleicht könnte man sagen, die der Filminstallation. Das fängt an mit zwei- und dreifachen Parallelprojektionen und führt bis zu ganzen Räumen mit Bett und Stuhl, zwischen die Bildschirme oder Leinwand platziert werden als suggestives Szenario.

"Anne, Aki und God", Eija-Liisa Ahtilas längster Film, arbeitet mit solchen Requisiten, die dem Besucher Halt geben sollen in dem ganz normalen Wahnsinn, der sich auf den Monitoren abspielt. Denn Aki, der Hauptdarsteller, ist schizophren, er glaubt die Stimme Gottes zu hören und phantasiert sich die Figur der Anne als seine Verlobte herbei. Das ist keineswegs bizarr, ebenso wenig wie die Szene der im Eiswasser ertrinkenden jungen Leute, sondern erzähltes Leben, dem der Zuschauer fasziniert folgt. Die Künstlerin agiert wie eine Psychologin. Sie lässt die Menschen einfach reden, die Dinge passieren. Der Besucher schaut atemlos zu und versteht. "Consolation Service" etwa ist die Geschichte einer Trennung. Ein junges Paar beschließt auseinander zu gehen, weiß aber nicht wie. Der Tod im See ist die Metapher ihres am Ende vollzogenen Abschieds, traurig und doch schön.

Eisa-Liisa Ahtilas Arbeiten sind immer wieder mit den Filmen Aki Kaurismäkis und Fotografien Esko Männikkös verglichen worden: von schonungsloser Unmittelbarkeit und doch zärtlicher Poesie. Wie ihre beiden Landsleute beobachtet die Künstlerin ohne Argwohn die Menschen ihrer Umgebung, lässt sie sich selber darstellen und verdichtet durch Landschaftsaufnahmen, Stadtfahrten, Musikeinspielungen die authentischen Berichte zu einem Psychogramm. In gerade zu anrührender Weise geschieht dies in "If 6 was 9", in dem fünf junge Mädchen von ihren sexuellen Phantasien sprechen, sich erinnern, wie sie die Welt der Körperlichkeit entdeckten.

"Die Arbeit basiert auf Recherche und wahren Begebenheiten, aber die Geschichte selbst und der Dialog sind fiktiv, eine Kombination aus verschiedenen Elementen", beschreibt die Künstlerin ihr Vorgehen. "Trotzdem geht es darum, ein Gefühl dokumentarischer Direktheit und Leichtigkeit herzustellen." Fast kommen einem die Briefleserinnen und Fensterguckerinnen in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts in den Sinn, so subtil und doch unmissverständlich erotisch erscheinen die jungen Frauen. Trotz aller Freizügigkeit haben sie den Glauben an das Geheimnisvolle, ja Mystische in einer sexuellen Beziehung nicht verloren. Mag sein, dass diese Entrücktheit sich auch nur beim Betrachter einstellt, der des Finnischen nicht mächtig ist. Die hart aufeinander stoßenden Konsonanten, das Stakkato der Silben verleiht dem Gesagten den besonderen Zauber. Mit Romantik ist das nicht zu verwechseln.Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, bis 12. März; Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr, Sonnabend, Sonntag 11-18 Uhr. Katalog folgt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false