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Kultur: Aus der Hüfte

Musikfest:Ingo Metzmacher und die Philharmoniker.

Den Hüftschwung im Frack kann er. Aus dem Becken heraus zu dirigieren, will Ingo Metzmacher dann aber nicht gelingen. Der erste Beitrag der Berliner Philharmoniker zum Musikfest wartet mit einem Programm erlesener Americana auf – und verspricht jene höhere Unterhaltung, die ein souveränes Spiel mit Klängen und Genres bieten kann. Doch ohne den Swing läuft bei Gershwin, Antheil und Bernstein nicht viel. Und den haben sie in zwangloser Übereinkunft nicht finden können, die Musiker und ihr Dirigent. Zuletzt stand Metzmacher 2001 vor dem Orchester. Lange her.

Die gemeinsame Chemie setzt eben nicht viel Wärme frei. Doch es gibt eine Region, in der Metzmacher sich Respekt verschaffen kann, ohne kreisendes Becken. Seine Fähigkeit, auseinanderstrebende Klangereignisse zu koordinieren, stellen auch die Philharmoniker nicht infrage. Die Aufführung von Ives’ 4. Symphonie mit ihren versprengten Orchestergruppen, oratorienhaften Choreinschüben und einem geisterhaften Solopiano zeigt Metzmacher in seiner Stärke. Und die Philharmoniker packen beherzt an, Oboist Albrecht Mayer hat gar einen Auftritt als energischer Subdirigent. Beinahe könnte man traurig werden, wie fern von Widerständen dieses erst spät entdeckte Wunderwerk über die Bühne rauscht.

Gershwins Cuban Overture (ursprünglicher Titel: Rumba) ist fern dabei. Metzmachers Hüftschwung kommt in der Musik nie an, vier philharmonische Schlagwerker stehen wie vergessen inmitten ihrer Kollegen. Echte Rhythmusboys sehen anders aus. Der Klang dieser karibischen Exkursion entfaltet sich eher spitzig denn spritzig, wie von einem Sinnlichkeitsembargo dominiert. Antheils Jazz Symphony kann überhaupt nicht mehr beweisen, dass sie einst für Furore gesorgt hat. Bernstein Tänze aus seiner West Side Story sind ein Fingerschnipsen näher dran am erhofften Klang. Doch stets denkt man: Da müsste der Chef ran. Rattle bereitet „Porgy and Bess“ vor, in voller Länge. Ein Kraftakt.

Wer noch in der Philharmonie ausharrt, wird im nachtblauen Konzertnachschlag mit der konzentriertesten Darbietung des Abends beschenkt: Pierre-Laurent Aimard rollt Ives’ Concord-Sonate aus, jene unmögliche, den transzendentalistischen Denkern Amerikas gewidmete Tondichtung. Erfahrung ist alles, sagen sie. Aimard gibt sie mit vollen Händen weiter, bis an den Rand der Erschöpfung. Ein Glücksfall. Ulrich Amling

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