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Kultur: Aus der Traum

Monster: Ein Siebentausender, der Bergsteigern den Frieden raubt

Was ist das nur für ein Berg? Die Einheimischen nennen ihn Baintha Brakk, doch als der britische Forscher Martin Conway 1892 ins Karakorum reiste und das merkwürdig geformte Felsmassiv erblickte, hatte er die Assoziation eines „menschenfressenden Ungeheuers“. So taufte er es „Ogre“. Und in der Tat hat der Siebentausender im Grenzgebiet zu Indien etwas Unheimliches, gleicht er doch einem riesenhaften, in die Hocke gegangenen Tier. Das mag dazu beigetragen haben, dass erst achtzig Jahre nach seiner Entdeckung die ersten Versuche unternommen wurden, den Ogre zu besteigen. An ihm zu klettern, ist ungemein schwierig, der Ogre ist ein heimtückisches Bollwerk.

Um den Berg von Norden zu versuchen, müsste man eine 2000 Meter hohe, größtenteils vereiste Felswand hinaufklettern, aus der sich ständig Lawinen und Geröllbrocken lösen. Im Osten könnte man über einen sehr exponierten Grat aufsteigen. Doch wartet hier eine Lawinenrinne, eine death alley, in derman wie von Heckenschützen beschossen wird. Und so haben fast alle Expeditionen einen Weg von Süden gewählt. Auch die britischen Bergsteiger Chris Bonnington und Doug Scott erreichten den Gipfel 1977 über das verschachtelte Terrassen-System, das die Sonnenseite des Berges auffächert.

Der Erfolg des sechsköpfigen Teams wäre vermutlich in Vergessenheit geraten, wenn die Erstbesteigung nicht unversehens in ein britisches Abenteuer gemündet wäre: Beim Abstieg stürzte Doug Scott, einer der besten Kletterer seiner Generation, der kurz zuvor den extrem schwierigen Schlussteil durch eine Reihe verwegener Manöver gemeistert hatte, und brach sich beide Beine. Wie er das überlebte, indem er auf Knien die senkrechten Wandabbrüche herunterrutschte, hat sein Partner Chris Bonnington später mit der für Engländer so charakteristischen Gleichmütigkeit geschildert. Jeder, der danach noch den Mut aufbrachte, sich am Ogre zu versuchen, hatte das Bild des auf wund gescheuert Knien in die Zivilisation zurückgeschleppten Himmelstürmers im Kopf - und war gewarnt.

Trotzdem ließen sich natürlich die Extremkletterer, denen die amerikanischen Parks zu klein und die Alpen zu leicht geworden waren, nicht abhalten. Obgleich weitere 25 Jahre vergingen, bis wieder jemand auf dem Gipfel stand. Erst 2001 schafft es ein deutsch-schweizerisches Trio um Thomas Huber, den Ogre über eine neue, zuvor etliche Male vergeblich versuchten Route zu besteigen. Sie klettern den monumentalen Südpfeiler hinauf, eine Granitmauer von großer Kompaktheit, die über einen schmalen, glatten Grat tausend Meter in die Tiefe stürzt. Die technischen Anforderungen sind so gewaltig, dass die drei nur im alpinen Freeclimbing-Stil ans Ziel gelangen.

Für Huber ist es das Ende einer jahrelangen Obsession. Ihr hat er jetzt ein großzügig bebildertes Buch gewidmet, das neben Bonningtons Schilderung die Erinnerungen all jener Gescheiterten festhält, die vom Ogre „gefressen“ wurden. Auch Hubers eigener Beitrag ist frei von übertriebenen Triumphgefühlen. Er beweist, dass man von der Schönheit eines Berges oder einer Schattenlinie so sehr fasziniert sein kann, dass einem darüber der Seelenfrieden abhanden kommt.

Thomas Huber: Ogre – Gipfel der Träume. BLV Verlag, München 2002. 175 Seiten. 29,90 Euro .

KM

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