zum Hauptinhalt

Kultur: Aus der Untiefe des Raums

Raus aus den Konzertsälen, hinein in Schlösser, Dorfkirchen und Kreuzgänge – die allsommerliche Standortverlagerung der Klassikszene wirkt auf den ersten Blick lediglich wie eine aparte Extratour. Tatsächlich aber rührt der Musiker-Exodus an die ganz grundsätzliche Frage, ob denn die großen Konzertsäle, in denen ansonsten der überwiegende Teil der klassischen Musik konsumiert wird, wirklich in jedem Fall die geeigneten akustischen Rahmenbedingungen bieten.

Raus aus den Konzertsälen, hinein in Schlösser, Dorfkirchen und Kreuzgänge – die allsommerliche Standortverlagerung der Klassikszene wirkt auf den ersten Blick lediglich wie eine aparte Extratour. Tatsächlich aber rührt der Musiker-Exodus an die ganz grundsätzliche Frage, ob denn die großen Konzertsäle, in denen ansonsten der überwiegende Teil der klassischen Musik konsumiert wird, wirklich in jedem Fall die geeigneten akustischen Rahmenbedingungen bieten. Oder ob nicht ein Großteil dieser Musik ein ganz anderes Hörerlebnis ermöglicht, wenn sie in Sälen erklingt, die zumindest annäherungsweise den Bedingungen ihrer Entstehungszeit entsprechen. Bei Kammermusik wird diese Forderung nach intimeren Dimensionen ja schon im Genretitel gefordert, und große geistliche Werke wie Monteverdis Marienvesper fordern mit ihren auskomponierten Echowirkungen sogar explizit die Verteilung der Musiker im Raum. Doch die Sache ist noch kniffliger: Zu fragen wäre nämlich, ob nicht die Verlagerung der Musik in immer größere Konzertsäle auch ihre Aufführungstraditionen geprägt hat. Und ob beispielsweise der Begriff des Klavierkonzerts im Laufe dieses Prozesses nicht eine schwer wiegende Begriffsverschiebung erfahren hat – ob die Konzerte Mozarts und Beethovens nicht eigentlich viel kammermusikalischer gedacht waren als sie heute gespielt werden. Eine im letzten Jahr erschienene, faszinierende Einspielung der beiden letzten Beethoven-Konzerte mit dem Niederländer Arthur Schoonderwoerd (alpha) legt in ihrer Radikalität diesen Schluss nahe. Doch auch abseits der HardcoreOriginalklang-Szene ist die Besetzungsstärke Thema: Beim Bebersee-Festival in der Uckermark etwa geht heute Abend das Großprojekt zu Ende, sämtliche Mozart-Klavierkonzerte in Minimalbesetzung zu spielen: In einem zum Kammermusiksaal umgebauten Flugzeughangar auf dem ehemaligen Militärflugplatz Groß-Dölln stellt Matthias Kirschnereit , der gerade seine Mozart-Gesamtaufnahme veröffentlicht hat, drei der „großen“ Konzerte zur Diskussion.

Auch bei den Klassiktagen Berliner Schlösser stehen reduzierte Konzertversionen auf dem Programm. Im Weißen Saal von Schloss Charlottenburg – also in nicht bloß akustisch, sondern auch stilistisch adäquatem Rahmen – stellen die Pianistin Elizaweta Stepanowa und das Mozartquartett Berlin am Freitag die Kammerversion eines Mozart-Konzerts einem zeitgenössischen Arrangement von Chopins e-moll-Konzert gegenüber, das den Orchesterapparat auf schnittige Streichquintettgröße eindampft.

Quasi in hauseigener Sache sei abschließend noch auf das heutige Konzert der Brandenburgischen Sommerkonzerte hingewiesen: In der Dorfkirche zu Wustrau im Ruppiner Land singt die amerikanische Mezzosopranistin Rebecca Martin unter dem Motto „Nacht“ ein stimmungsvolles Programm, das neben Lieder von Brahms, Richard Strauss und Gershwin als Höhepunkt Berlioz’ wunderbaren Zyklus „Nuits d’eté“ enthält. Es moderiert Tagesspiegel-Kritiker Ulrich Amling.

Jörg Königsdorf

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false