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Kultur: Aus tiefstem Seelengrund

Vesselina Kasarovas großer Arien-Abend in Potsdam

Ein bisschen fies war es schon, dass Charles Spencer, der Pianist, am Ende dieses programmatisch eher spröden, wunderbaren, gewiss nicht leicht zu spielenden Abends (den er mit viel Tesafilm ganz ohne Umblätterer bewältigte!), so offensichtlich mit leeren Händen dastand. Bouquets vom Veranstalter, dem Potsdamer Nicolaisaal, Blümchen aus dem tosenden Parkett – aber immer nur für Vesselina Kasarova. Eine kleine Verlegenheitspause oben auf dem Podium, dann rasch die nächste Zugabe. Dabei hatte gerade Spencer sich eindrucksvoll zu steigern gewusst: Spätestens mit „Non temer, amato bene“ aus Mozarts „Idomeneo“ im zweiten Teil legte er jede Oper-am-Klavier-Anmutung ab und schlug in Händels „Scherza infida“ (aus „Ariodante“) gar Farben der Verlassenheit, der Gottlosigkeit im klaffenden Liebesverlust an, mit denen sich jedes Orchester schwer tun würde. Und wenn es derzeit eine Sängerin gibt, deren Kunst solche letzten Dinge zu vergegenwärtigen vermag, dann Kasarova.

Fast scheint es, als verinnerliche die bulgarische Mezzosopranistin den Notentext derart, dass am Ende dabei ein Verwandeltes, ein Drittes herauskommt. Kasarova gilt als virtuose Rhetorikerin, jedes Muskelchen, jeden Nerv der Tonproduktion weiß sie perfekt zu stimulieren, und wenn sich ihr Brustkorb bisweilen wie ein ritterlicher Panzer hebt und senkt, dann nimmt die Technik nicht nur physisch Gestalt an. Dieser Künstlerin ist einfach alles Ausdruck, Bekenntnis, Offenbarung vom tiefsten Seelengrund.

So sind ihr auch die Koloraturen in der ersten großen Händel-Arie des Abends, „Mi lusinga il dolce affetto“ aus „Alcina“, längst zu echtem Leben geronnen: ein Atmen, ein Lächeln, ein Stirnrunzeln, ein Schauder. Ebenfalls erfüllt von den vulkanisch brodelnden Tiefen, dem rotgoldenen Timbre ihres Wunder-Mezzos: Haydns „Arianna a Naxos“-Kantate. Als letzte Zugabe dann die „Parto“-Arie des Sesto aus Mozarts „Titus“: Liebe, sagt diese Musik, will Anarchie. Trägt den Wahn im Blick, das Herz auf der Zunge. Wie dumm, wie verletzlich doch. Und noch lange läutete die winterkalte Welt in dieser Nacht.

Christine Lemke-Matwey

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