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SCHREIB Waren: Außen rot, innen braun

Manchmal verfügt ein Roman bei seinem Erscheinen über eine Aktualität, von der sein Autor beim Schreiben nichts wissen konnte. Gernot Wolframs neuer Roman „Das Wüstenhaus“ ist so einer.

Manchmal verfügt ein Roman bei seinem Erscheinen über eine Aktualität, von der sein Autor beim Schreiben nichts wissen konnte. Gernot Wolframs neuer Roman „Das Wüstenhaus“ ist so einer. Er handelt von einer jungen Frau, deren Eltern sechs Jahre zuvor bei einem Terroranschlag in Tunesien starben, in einer Synagoge in einem islamischen Land. Sie waren Touristen, ein Journalist hatte ihnen die Sehenswürdigkeit empfohlen. Das Mädchen blieb im Auto, das rettete ihr das Leben. Nun trifft sie auf eigenen Wunsch den Journalisten von damals wieder, und vieles beginnt von vorn.

Wolframs Roman erscheint zu einem Zeitpunkt, da im Nahen Osten die Verhältnisse in Bewegung geraten sind. Zudem sind Tunesien und Ägypten Länder, die scharenweise deutsche Urlauber anlocken: Sonne, Meer und 1001 Nacht, all inclusive. „Das Wüstenhaus“ erzählt von den Parallelgesellschaften, die Besucher und Einheimische bilden. Der Roman tut das aus der vermutlich einzig möglichen Perspektive, aus der Mitteleuropäer so etwas erzählen können: der der Touristen und Journalisten. Morgen Abend um 20 Uhr stellt Gernot Wolfram sein Buch im Literarischen Salon von Britta Gansebohm vor (BKA, Mehringdamm 34).

Ansonsten ist diese Woche der Club der toten Dichter angesagt, bestehend aus Thomas Bernhard, Albert Vigoleis Thelen und Bertolt Brecht. Thomas Bernhard wäre morgen 80 Jahre alt geworden. Schmähungen, Hohn und Klagen sowie die nicht enden wollenden Wiederholungen der Schmähungen und Klagen bilden den Kern seiner Texte: „Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: Außen rot, innen braun und immer ein bißchen betrunken.“ Für seine Werke erhielt er eine Menge Literaturpreise, die er nicht annehmen wollte, aber doch angenommen hat. Von den Preisgeldern kaufte er sich Häuser, in denen er neue Hohn-und- Schmähtexte schreiben konnte, gern auch im Konjunktiv, wofür er dann neue Preise bekam – und so weiter, bis zum 12. Februar 1989, als Bernhard verstarb. Aus seinen „Autobiografischen Schriften“, die gerade als Hörbuch erschienen sind, lesen am heutigen Dienstagabend die Schauspieler Ulrich Matthes und Burghart Klaußner um 20 Uhr im Deutschen Theater (Schumannstraße 13).

Einen Tag nach und 33 Jahre vor Bernhard wurde Bertolt Brecht geboren. Er ist nicht nur länger tot, sondern auch schon lange ein Klassiker, was er vermutlich nicht unbedingt gewollt hätte. Aber die Alternative dazu ist das Vergessen, und das hätte er noch weniger gewollt. So gibt es zur Pflege des Andenkens alljährlich die Brecht-Tage, in diesem Jahr vom heutigen Dienstag bis einschließlich Freitag im Literaturforum (Chausseestr. 125). Im Zentrum der Vorträge und Diskussionen steht das Thema „Gewalt“, Näheres unter: www.lfbrecht.de/event.

Bleibt im Club der drei toten Dichter noch der Unbekannteste von ihnen: Albert Vigoleis Thelen, einer der großen Autoren des 20. Jahrhunderts. Das hat er seinem Roman „Das zweite Gesicht“ zu verdanken, der schelmisch und fabulierlustig an den Aufenthalt Thelens und seiner Frau Beatrice während der Jahre 1931 - 1936 auf Mallorca anknüpft. Sein Talent zu schmähen steht dem von Bernhard kaum nach. So fand er etwa Dutzende Schimpfwörter für eine einzige Figur: „Hurenstrunzel“, „Puttscholle“, „Schlunte“, „geile Schindkracke“, „Hochkokotte“ etc. Nun ist auch eine Auswahl seiner Briefe aus den Jahren 1929 - 1953 erschienen. Am Donnerstag erzählt Richard David Precht von seinem persönlichen Zugang zu Albert Vigoleis Thelen und unterhält sich mit den Herausgebern der Briefausgabe über Thelens Briefwerk und abenteuerliches Leben. Zudem wird eine unveröffentlichte Filmaufnahme von Thelen zu sehen sowie ein Tondokument zu hören sein, in dem dieser über die schwierige Verlagssuche für sein späteres Erfolgsbuch berichtet. All das um 20 Uhr im Literaturhaus (Fasanenstr. 23).

Thomas Wegmann

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