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Vokabeln für Deutschland. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) beim Besuch einer PASCH-Schule in Daressalam Anfang Mai. 2008 wurde die Bildungsinitiative vom Auswärtigen Amt ins Leben gerufen. Mittlerweile sind 1800 Schulen weltweit vernetzt, in denen Deutsch eine übergeordnete große Rolle spielt.

© Inga Kjer/photothek.net

Außenminister Heiko Maas zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik: „Wir müssen Europa erneuern“

Das Geschäft kann sehr mühsam sein: Bundesaußenminister Heiko Maas über auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in einer disruptiven Welt.

Herr Außenminister, welche Bedeutung hat die Kultur für Ihre Arbeit?

Der Zugang zu Kultur, Bildung und Wissenschaft ist elementar für unser Verständnis von Gesellschaft, zumal in einer Welt, in der autoritäres Denken Konjunktur zu haben scheint und weltweit Freiheitsräume beschnitten werden. Darauf müssen wir Antworten finden, auch jenseits der klassischen Diplomatie. Deshalb haben wir die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik im Koalitionsvertrag mit einem klaren Gestaltungsauftrag für die kommenden Jahre versehen, und der lautet: Wir wollen für unsere Werte und Interessen, für die Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Meinung eintreten.

Wir arbeiten für den Zugang zu Kultur und Bildung – im Ausland, aber auch hier bei uns in einer durch Einwanderung geprägten Gesellschaft. Und wir setzen auf Kooperation statt Repräsentation, insbesondere auf gemeinsame Kulturarbeit mit unseren Partnern in Drittstaaten. Es geht darum, Menschen Perspektiven für eine bessere Zukunft zu geben.

Uns kulturell verbundene europäische Länder wie Ungarn und Polen ziehen sich auf ihre nationale Identität zurück. Wie sieht die kulturelle Zusammenarbeit mit diesen Ländern in Zukunft aus?

Wir sollten uns da an die eigene Nase fassen. Populistische Parteien und Bewegungen haben vielerorts Auftrieb, das haben auch die letzten Bundestagswahlen gezeigt. Ich komme aus einer Region im Herzen Europas und bin mit Leib und Seele Europäer. Deshalb sehe ich diese Entwicklung mit großer Sorge. Klar ist: Wir dürfen das Feld nicht den Populisten überlassen, sondern müssen jetzt endlich die Erneuerung Europas angehen, denn auf schwierige Fragen wie Migration oder die Gestaltung der Globalisierung können wir nur europäisch antworten. Europa ist nicht nur ein Binnenmarkt, sondern auch eine kulturelle Wertegemeinschaft. Deshalb suchen wir die kulturelle Zusammenarbeit, auch und gerade mit unseren Partnern in Osteuropa. Das schließt eine klare Positionierung mit ein, wenn an europäischen Grundwerten gerüttelt wird.

Und wie sieht es mit den USA aus?

Die USA sind unser wichtigster Partner außerhalb Europas. Die transatlantische Partnerschaft ist aber beileibe kein Selbstläufer mehr, und dies nicht erst seit den letzten US-Wahlen. Wir stellen fest, dass es einen Wandel und in Teilen auch eine Entfremdung gibt. Wir müssen wieder mehr verstehen wie die USA ticken – und wir müssen vor Ort viel mehr Präsenz zeigen als in der Vergangenheit, uns besser erklären und an unserem gemeinsamen Wertefundament arbeiten. Deshalb bauen wir auch unsere kulturelle Zusammenarbeit mit den USA aus. In wenigen Wochen eröffnet der Bundespräsident das Thomas-Mann-Haus in Los Angeles, wo künftig transatlantische Vordenker und Intellektuelle, ganz im Geiste Thomas Manns, für unsere Gesellschaften grundlegende Fragen in den Blick nehmen werden. Und mit dem im Herbst startenden Deutschland-Jahr in den USA wollen wir insbesondere auch die Menschen im Heartland ansprechen und so das transatlantische Verhältnis neu beleben. Die große Nachfrage seitens der Kultur, der Zivilgesellschaft, aber auch der Unternehmen zeigt, dass wir damit einen wichtigen Nerv treffen.

Wie beurteilen Sie die geschützten Freiräume für Kultur und Bildung? Werden sie größer oder eher kleiner? Und was kann Auswärtige Kulturpolitik in abgeschotteten Ländern wie Saudi-Arabien und Iran ausrichten?

Es wird für die Arbeit unserer Kulturmittler und Partner in vielen Ländern eher schwieriger. Das ändert aber nichts an unserem Ansatz. Wir machen auswärtige Kulturpolitik auch mit und für Menschen in Staaten, deren Wertekanon und politische Verfasstheit nicht einem Schweizer Idealmodell von Demokratie entsprechen. Denn Kulturpolitik ist ja gerade in Situationen gefragt, in denen es um Wandel und Veränderung geht. Das ist zugegebenermaßen oft ein Balance-Akt, aber allein von der gemütlichen Berliner Couch aus lassen sich nun einmal keine gesellschaftlichen Freiräume erhalten geschweige denn schaffen. Wir sehen aber auch Entwicklungen, die optimistisch stimmen.

In Saudi-Arabien beispielsweise geht mit dem ambitionierten Reformprogramm der Regierung auch eine rasante kulturelle Öffnung einher. Die Menschen gehen nun ins Kino und zu öffentlichen Konzerten. Das unterstützen wir, indem wir Brücken zwischen der deutschen Gesellschaft und der jungen saudischen Kulturlandschaft schlagen und Künstler wie Abdulnasser Gharem einladen. Kulturarbeit bewirkt gesellschaftliche Öffnung, so mühsam das manchmal sein mag.

Sind europäische Partner bereit, zusammen mit Deutschland eine gemeinsame Kultur- und Bildungspolitik zu betreiben?

Es geht uns dezidiert nicht um eine supranationale Kulturpolitik, die alles vereinheitlicht, sondern es geht uns darum, verstärkt die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern zu suchen. Wir wollen, dass das Goethe-Institut und das Institut Français mit einem gemeinsamen Programm und Team arbeiten und offen sind für die Beteiligung weiterer europäischer Partner. Ein Beispiel ist die Türkei, wo das Goethe-Institut zusammen mit dem Institut Français, mit schwedischen, niederländischen und türkischen Partnern kulturelle Zentren in Diyarbakir, Gaziantep und Izmir aufbaut, um so die Zivilgesellschaft in der Türkei zu stärken.

Wird es denn einmal gelingen, eine europäische Identität zu schaffen, die auf den gemeinsamen Werten beruht?

Dieses Bekenntnis gibt es bereits, wenn Sie zum Beispiel auf einen der vielen Marktplätze von Portugal bis Polen schauen, in denen die Inititiative „Pulse of Europe“ jeden Monat viele Menschen zusammenbringt, die sich als Europäer verstehen und das auch zum Ausdruck bringen. Das ist gelebter europäischer Geist. Ganz wichtig ist, dass wir den Austausch zwischen jungen Europäern stärker fördern als bisher, und zwar mit Angeboten unabhängig von Herkunft und Bildung.

Welche Rolle wird das Auswärtige Amt beim Humboldt-Forum spielen? Es hat dort bisher noch keinen so großen Einfluss gehabt.

Das Humboldt-Forum muss und wird sich der Welt öffnen und mit der Welt arbeiten, wenn es den Erwartungen gerecht werden will, die auch international gestellt werden. Dafür engagieren wir uns im Stiftungsrat. Wir wollen auf eine internationale Ausrichtung des Humboldt Forums hinwirken, die auch die kulturelle Zusammenarbeit im kolonialen Kontext ermöglicht. Dabei wird das Goethe-Institut mit seinem weltweiten kulturellen Netzwerk eine zentrale Rolle spielen.

Wir leben hier in Sicherheit und relativem Luxus. Werden Sie Programme zum Schutz von verfolgten Künstlern und Wissenschaftlern ausweiten?

Mit der Philipp Schwartz Initiative haben wir bereits ein Programm, um verfolgten Wissenschaftlern hier in Deutschland die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit fortzuführen. Damit geben wir ein Stück weit das zurück, was andere Länder während der NS-Herrschaft für verfolgte deutsche Wissenschaftler getan haben. Diesen Schutz wollen wir weiter ausbauen, deshalb arbeiten wir aktuell an Initiativen zum Schutz verfolgter Künstler und Journalisten, ganz im Sinne des großen Martin Roth, der sich hierfür zeitlebens mit Leidenschaft eingesetzt hat und leider viel zu früh von uns gegangen ist.

Wo liegen Ihre persönlichen Interessen in der Kultur?

Neben Büchern und Theater ist gute Musik für mich unverzichtbar. Das fügt sich mitunter ein in die außenpolitische Arbeit. Bei meinem Antrittsbesuch in Dublin ging es neben den großen europapolitischen Fragen auch um „Sunday Bloody Sunday“ von U2 …

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper

Weitere Texte zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik finden Sie auf unserer Themenseite

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