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Kultur: Außer Atem

Gespräche mit Oskar Roehler sind verrückte Angelegenheiten, selbst wenn sie an einem sonnigen Vormittag am Küchentisch stattfinden. Schon auf der Straße in Prenzlauer Berg wettert der Filmemacher über die Anti-Graffiti-Aktionen seiner Hausgemeinschaft, während er vor der gegenüberliegenden, graffitiübersäten Hauswand für den Fotografen posiert - nicht ohne dabei laut über Narzissmus und Scheu beim Fotografiert-Werden nachzudenken.

Gespräche mit Oskar Roehler sind verrückte Angelegenheiten, selbst wenn sie an einem sonnigen Vormittag am Küchentisch stattfinden. Schon auf der Straße in Prenzlauer Berg wettert der Filmemacher über die Anti-Graffiti-Aktionen seiner Hausgemeinschaft, während er vor der gegenüberliegenden, graffitiübersäten Hauswand für den Fotografen posiert - nicht ohne dabei laut über Narzissmus und Scheu beim Fotografiert-Werden nachzudenken. Zurück in der Wohnung, wollen wir über seinen neuen Film und dessen provokanten Titel "Suck my dick" sprechen. Aber erstmal kocht er Kaffee, blättert im Drehbuch zu seiner nächsten TV-Produktion, will daraus vorlesen, unterbricht sich, erzählt, dass Christoph Schlingensief und Wolfgang Joop darin mit Pumpguns Fernsehapparate beschießen und dass Kulturstaatsminister Nida-Rümelin vielleicht auch mitspielt. "Alter Affe Angst", so der Titel, wird "eine krasse Nummer, die aber halbwegs seriös aussehen soll".

Also kein Schlingensief-Stil. Wobei Roehler auf seinen Freund Christoph und dessen geniale Publikumsbeschimpfungen nichts kommen lässt. Schließlich verdankt er ihm die Lust am Filmemachen, seit damals, als er ihn nach dem "Deutschen Kettensägenmassaker" ansprach, das Drehbuch für "Terror 2000" mit verfasste und auf dem Set die Klappe schlug. Eine Initiation.

Das war die beste Filmschule, sagt Oskar Roehler, Jahrgang 1959, dessen Name seit seinem Erfolgsfilm "Die Unberührbare" nicht nur Cineasten vertraut ist und dessen neuer Film am Donnerstag ins Kino kommt. Aufgewachsen in Rom, London und bei den Großeltern in Nürnberg, wurde er von der Berliner Film- und Fernsehakademie zweimal abgelehnt, das erste Mal mit 23 Jahren, das zweite Mal mit 25. Dann schrieb er, obwohl es ihm schwer fiel. Denn das Schreiben war besetzt, von seinen Schriftsteller-Eltern Klaus Roehler und Gisela Elsner, die den dreijährigen Knaben verließ - eine Geschichte, über die der Sohn nicht gerne spricht, aber an der er sich mit der verstörenden Verfilmung der letzten Lebenstage seiner Mutter, eben der "Unberührbaren", abgearbeitet hat. Trotzdem entstanden damals Erzählungen ("Das Abschnappuniversum"), unveröffentlichte Gedichte und TV-Drehbücher, von denen er ab 1989 immerhin leben konnte.

Schreiben, so Roehler, sei zwar präzise, aber lethargisch. "Man sitzt den ganzen Tag. Filmemachen bedeutet aufstehen und das Arbeitszimmer verlassen." Mit 35 drehte der Autodidakt seinen ersten Spielfilm, "Gentleman", frei nach "American Psycho". Ein Horrortrip. Das Treatment entstand in einer einzigen Nacht, für das Budget von 16 000 Mark ging das Erbe der Großmutter drauf. "Wir waren ein chaotischer Räuberhaufen, der mit Taschenlampen in verlassene Häuser eindrang, um dort zu filmen." So abenteuerlich ging es seitdem nicht wieder zu, nicht bei "Silvester Countdown" (1997), einem drastisch-poetischen Romeo-und-Julia-Sextrip, nicht bei "Gierig" (1999), einer ebenso waghalsigen (Alp-)Traumreise durch die Berliner Nachtklubszene. Aber bei aller Professionalität lässt sich Roehler das schnelle, wilde, riskante Arbeiten bis heute nicht nehmen. Konzepte ja, aber die Formen sind frei.

Eine Klamotte für Paris-Bar-Gäste

Zweiter Anlauf: Wie ist das nun mit "Suck my dick", Roehlers jüngster Vision von der neuen Berliner Gesellschaft als trashiger Wahnwelt? Eine drastische Klamotte, sagt Roehler, eine Art "Werner beinhart" für Paris-Bar-Gäste. Kaum dass wir endlich zum Thema kommen, schweift er wieder ab. Bedauert die Bürokratisierung der Filmlandschaft und das politisch korrekte Denken der Fernsehredakteure. Schimpft auf die saturierte Bundesrepublik, lässt sich über Talkshows aus und die kompromittierte Politik eines Rudolf - "Bin Baden" - Scharping, träumt von der Politikerfarce, die er zu gerne drehen würde, erläutert seine Hassliebe zu Lars von Triers Fanatismus, kommt auf die erpresserischen Strindbergschen Paarbeziehungen im eigenen Freundeskreis zu sprechen, schwärmt für Woody Allen, David Lynch, die Coen-Brüder und bringt - immer wieder - seine Verehrung für Fassbinder zum Ausdruck. Ja doch, Tom Tykwer und Doris Dörrie mag er auch, und da wäre noch der "Hyper-Vater" Fritz Lang. Aber sonst? Nein, er ist ein Einzelkämpfer, kein Groupie der deutschen Filmszene.

Mit seinen Schauspielern hingegen verbinden ihn familiäre Gefühle. Ihnen hält er die Treue, wegen des Vertrauens, das nicht jedesmal neu erarbeitet werden muss. Hannelore Elsner, grandiose Hauptdarstellerin in "Die Unberührbare", spielt in "Suck my dick" eine Nebenrolle. Und erst vor einer Woche hat Roehler einen RTL-Film mit Elsner und Iris Berben abgedreht: "Fahr zur Hölle, Schwester", ein Remake von "Whatever happened to Baby Jane". Es sei ein irrer Spaß gewesen, mit diesen eiskalten, aber sympathischen Frauentypen. RTL habe ihm 3,5 Millionen Mark gegeben und alle Freiheiten gelassen.

Der Privatsender und der "Kulturterrorist" (Roehler über Roehler) - ein produktives Missverständnis? Roehler lacht. Wer glaubt, mit "Der Unberührbaren" habe sich der Undergroundfilmer etabliert, sieht sich angesichts von "Suck my dick" getäuscht. Dritter Anlauf: Ist der Filmheld Dr. Jekyll alias Edgar Selge, dieser Erfolgstyp, der verrückt wird, seine Haare, seine Zähne sowie seinen Penis verliert und bei Psychiater Wolfgang Joop auf der Couch liegt, etwa eine Parodie auf den Gewinner des deutschen Filmpreises 2000? Ein Alter Ego des Regisseurs? Selbstironie muss sein, sagt Roehler. Seine früheren Filme hätten sich selbst viel zu ernst genommen. Man sollte die eigenen Ängste nicht kultivieren, deshalb der Sarkasmus bei der Demontage des Helden, der irgendwo zwischen Punk und Techno hängen geblieben ist, im Lifestyle der Neunziger. "Das war auch die Zeit meiner letzten großen Männerabenteuer," gesteht Roehler, der seit 1980 in Berlin lebt.

Übrigens wundert es ihn nicht, dass Frauen "Suck my dick" lustiger finden als Männer. Frauen haben schließlich Übung im Umgang mit den Neurosen, dem lächerlichen Dominanzverhalten und Größenwahnsinn des angeblich starken Geschlechts.

Der Affe Mensch

Der Spaßfaktor ist Roehler neuerdings wichtig. Eine bizarre, unvollkommene Welt braucht bizarre, unvollkommene Filme. Den verlorenen Seelen der Gegenwart ist mit Selbstmitleid nicht beizukommen. Kino ist für Roehler ein freches, philosophisch-soziologisches Spiel, surreale Verständigung über das, was unseren Verstand übersteigt. Nein, er meint nicht den Fun der Spaßgesellschaft, sondern die Provokation, die das Publikum aus der Reserve lockt. Wegen des zerlöcherten Nervenkostüms, sagt Roehler. Der Mensch sei nackt und verloren. Ein Affe, der vom Baum steigt und durch die Steppe irrt. Deshalb inszeniert er gerne Klaustrophobie in leeren Räumen.

Wieder verliert sich Roehler vor lauter Assoziationslust und -wut, kommt auf Buñuel zu sprechen, auf den Täter in jedem von uns, auf den 11. September und die übersteigerte Wahrnehmung, wenn er die Terrorbilder im Fernsehen sah.

Oskar Roehler, der Ungeduldige. Filmen bedeutet ihm Schuften und Magie - eine Art Sucht: Arbeit in Schüben, oft parallel an mehreren Projekten. Die nächste RTL-Produktion ist in Vorbereitung, mit Elke Heidenreich würde er gerne über eine Fortsetzung ihrer Erzählung "Silberhochzeit" nachdenken, und am heutigen Sonntag fliegt er nach Paris und trifft Michel Houellebecq. Er wird ihm "Suck my dick" zeigen und mit ihm über "Elementarteilchen" reden. Produzent Bernd Eichinger bemüht sich zurzeit um die Rechte, und wenn alles gut geht, verfilmt ein deutsches Enfant Terrible das französische Enfant Terrible Houellebecq. Das wird, sagt Oskar Roehler, der ultimative Film nach einem Wahnsinns-Roman. Aber bestimmt nicht sein letzter.

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