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Spirale des Schweigens. Blick in die Ausstellung „Berlin 1933“.

© DAVIDS

Ausstellung: "Berlin 1933": In der Zentrale der Täter

Wo sich heute die Topographie des Terrors befindet, hatten einst einige der mächtigsten Ämter des NS-Staats ihren Sitz. Jetzt hat Angela Merkel dort die Ausstellung „Berlin 1933“ eröffnet.

Grau in Grau, Nieselregen, Begräbniswetter. Vor achtzig Jahren soll es eisiger gewesen sein. Ein Großfoto von Hitler ist in einem Kellerrest der einstigen Gestapozentrale aufgespannt, die Hände in den Manteltaschen fährt er im offenen Wagen durch eine jubelnde Menge. Ein paar hundert Meter von hier machten ihn die Totengräber der Weimarer Republik am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler. Die verheerenden Folgen dieses Tages sind kaum irgendwo so augenfällig wie auf dem Gelände der Topographie des Terrors. Über das Foto von Hitlers Triumph hinweg geht der Blick auf den Koloss des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums und ein durchlöchertes Stück Berliner Mauer.

Angela Merkel war gut beraten, diesen Ort für einen Auftritt am 80. Jahrestag der Vereidigung Hitlers zum Reichskanzler zu wählen. Nah am historischen Schauplatz, aber fernab von jeder staatlich gelenkten Geschichtspädagogik. Es waren engagierte Bürger, die vor 30 Jahren anfingen, für eine Umwandlung des Gestapogeländes in einen Ort der Aufklärung über das NS-Regime zu streiten. Eine Erfolgsgeschichte: 948 000 Besucher wurden 2012 gezählt, davon 60 Prozent aus dem Ausland.

Die Rolle der Bevölkerung bei der Etablierung der NS-Diktatur und ihre Bedeutung für das Weiterbestehen eines demokratischen Rechtsstaats – dieses Thema zieht sich durch alle Reden bei der Eröffnung der Sonderausstellung „Berlin 1933 – Der Weg in die Diktatur“. Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, spricht die NSU-Mordserie an, die durch Gleichgültigkeit und Behördenschlamperei allzu lange unaufgeklärt blieb. Dieser Verweis hebt seinen Appell „Jeder muss Sorge tragen, dass es nie wieder geschieht“ über das Ritual hinaus.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit kritisiert „Gleichgültigkeit, Misstrauen, Abseitsstehen“ vieler Bürger in der heutigen Demokratie. Sie sei „kein Selbstläufer“. Rassistische Hetze sei nicht hinnehmbar: „Deshalb bin ich für ein NPD-Verbot.“ Dieses Vorhaben dürfe nicht im Wahlkampf zerredet werden.

Der Historiker Peter Steinbach, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, beschreibt die „Selbstgleichschaltung“ der Gesellschaft unter der NS-Diktatur als Schweigespirale, die der „Erzeugung von Fraglosigkeit“ gedient habe. Und wagt die kühne Analogie, dass Politiker auch in heutigen Wahlkämpfen daran interessiert seien, unbequeme Themen und Fragen aus der Meinungsbildung zu verdrängen.

Die Kanzlerin trägt Schwarz. Angela Merkel bleibt vorsichtig, jeder sprachliche Ausrutscher in diesem sensiblen Terrain könnte fatale Folgen haben. Strikt hält sie sich an ihr Manuskript, ohne auf ihre Vorredner einzugehen. Wie jene erinnert Merkel an die Duldung und Unterstützung der Nazis durch die Eliten und das Mitläufertum breiter Bevölkerungsschichten. Die Naziverbrechen seien möglich geworden, „weil eine breite Mehrheit einfach wegsah“. Auch heute müsse man den „Gefahren für Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie“ vorbeugen: „Menschenrechte behaupten sich nicht allein.“ Die Demokratie brauche Menschen, die sich für sie engagieren. Mit ihren Formulierungen bleibt Merkel im Wohlmeinenden und Ungefähren. Sie spricht staatsmännisch, als Kanzlerin. Als Politikerin oder Person kommt sie nicht aus der Deckung. Es ist nur ein Termin zwischen Kabinettssitzung, Gedenkstunde im Bundestag, Mursi-Visite und Empfang des Diplomatischen Corps. Als die Kanzlerin in den Dienstwagen steigt, hat wenigstens der Regen aufgehört. Die Absperrung um das Topographie-Gelände wird aufgehoben, die Bürger können kommen und sich selbst ihre Gedanken machen. Michael Bienert

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