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Ausstellung: Blauer Reiter - Blick über die Schulter

Ein Tanz in Farben: Das Münchner Lenbachhaus zeigt die Grafik des Blauen Reiters. Kandinsky ist dabei die zentrale Figur.

Der Almanach „Der Blaue Reiter“, erschienen bei Reinhard Piper in München 1912, zählt zu den wichtigsten Publikationen der anbrechenden Moderne. Erstmals wurden Hochkunst und Volkskunst, europäische und außereuropäische Objekte zusammengebracht, gemeinsam abgebildet, ohne Vorbehalt oder gar Herablassung, wie sie damals, im Zeitalter des Kolonialismus, üblich waren. Und dann die bunte Mischung der Texte zu Kunst, Bühne und vor allem auch Musik, die – neben beispielsweise einem Text von Arnold Schönberg – sogar mit Notenblättern im Almanach vertreten ist.

Auf dem Umschlag bäumen sich Pferd und Reiter auf, halb figürlich, halb abstrakt. Das Monogramm „K“ in der rechten Ecke weist auf Wassily Kandinsky hin. Er war die treibende Kraft, nicht nur des „Blauen Reiters“, sondern der Münchner Avantgarde bereits seit der Jahrhundertwende. In der Entstehungszeit des Almanachs ringt Kandinsky um die Abstraktion, und abseits der energisch vorangetriebenen Publikation, mit der er Käufer anziehen wollte und musste, war er bereits weiter als beim Umschlagentwurf.

Kandinsky hat, wie wenige, über Kunst, ihre Entstehung und ihre Aussage, nachgedacht. Davon legt der hervorragend edierte Band seiner Schriften bis 1916 Zeugnis ab, der vor wenigen Jahren endlich erschienen ist (Gesammelte Schriften 1889–1916, Prestel Verlag 2007, 742 S., 78 €). Im „Almanach“ ist der Grundsatzbeitrag „Über die Formfrage“ publiziert, in dem Kandinsky die beiden „Pole“ der „großen Abstraktion“ und der „großen Realistik“ darlegt. Kandinsky hat sich das nicht leicht gemacht. Wie schwer auch im künstlerischen Schaffensprozess, ist jetzt im unterirdischen „Kunstbau“ des bis 2012 in Erweiterung befindlichen Münchner Lenbachhauses zu sehen. Erstmals seit anderthalb Jahrzehnten werden alle zehn Entwürfe gezeigt, die Kandinsky für das Almanach-Titelbild geschaffen hat – ein Blick über die Schulter des Künstlers, wie er nur in der Grafik möglich ist.

„Ein Tanz in Farben“ ist die Ausstellung der Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafik der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ überschrieben, die das Lenbachhaus aus seinen überreichen Beständen bestreitet. Während die Gemälde auf Reisen geschickt wurden, gehört das Feld erstmals ganz allein den Arbeiten auf Papier. Der begleitende Katalog bildet alle 265 Arbeiten in Farbe ab, und wenn es nur um den Farbton des Papiers geht.

Grafik ist heutzutage ein eher vernachlässigtes Kunstgebiet. Dabei gehört der Arbeit auf Papier die Spontaneität, die Idee, das Wagnis. Ein Blatt wie Kandinskys großformatiger „Entwurf zu Improvisation 30“ von 1913 lässt diesen Entwurfsprozess unmittelbar verfolgen. Rätselhaft, wie der Künstler eines seiner größten Ölgemälde, die „Komposition VII“ von 1913, auf einem gerade einmal DIN-A4-großen Blatt vorbereiten konnte. Und dann, mitten im Ersten Weltkrieg, zu dessen Beginn Kandinsky Deutschland als „feindlicher Ausländer“ verlassen musste, eine Aquarellansicht von Moskau, zart und zugleich visionär wie ein Traum vom „Dritten Rom“.

Kandinsky ist die beherrschende Figur dieser Ausstellung. Die Schenkung seiner damaligen Lebensgefährtin Gabriele Münter, Jahrzehnte später erfolgt, brachte nicht weniger als 550 Papierarbeiten ins Lenbachhaus. Davon sind immerhin 74 Blätter zu sehen, die in ihrer zumeist leuchtenden Farbigkeit für den etwas gewollten Ausstellungstitel stehen. Nur Franz Marc, Kandinskys engster Gesprächspartner ab 1911, kann darin mithalten; obgleich das Lenbachhaus von ihm nur eine einzige der berühmten bildmäßig angelegten Gouachen besitzt, „Rotes und blaues Pferd“ von 1912. Dafür sind endlich wieder die zauberhaften aquarellierten Postkarten zu sehen, die Marc aus seinem oberbayerischen Refugium zu schicken pflegte, bisweilen sogar mit integriertem, farbigen Text wie jene, wo er ein gemeinsames Essen nach Besuch in der Kunsthandlung Goltz vorschlägt. Bei Goltz war als zweite Ausstellung der Künstlergruppe 1912 eine reine Grafikschau zu sehen, wobei die Dresden-Berliner „Brücke“ ebenso einbezogen war wie Volkskunst aus Russland.

Exklusiv war der „Blaue Reiter“ nicht, Kandinsky suchte im Gegenteil immerzu neue Mitstreiter. Was die jetzige Ausstellung frappierend deutlich macht, ist denn auch die stilistische Spannweite der Münchner Gruppe. Alfred Kubin mit seinen halluzinatorischen Bildideen gehört ebenso dazu wie Paul Klee, damals noch ganz am Anfang mit dünn gestrichelten Radierungen, dann aber, nach einem letzten Besuch beim bald darauf im Krieg umgekommenen Marc, mit der noch zögerlichen Farbigkeit des Aquarells. Von zwölf Künstlern, die zeitweise dem „Blauen Reiter“ angehörten, zeigt die Ausstellung alles, was das Lenbachhaus besitzt, darunter Skurriles wie die Collagen, die der Tänzer Alexander Sacharoff als Bühnenbildentwürfe für Busonis Oper „Turandot“ fertigte.

Und von Gabriele Münter selbst? Da sind Vorzeichnungen zu ihren berühmten, sanft ironischen Gemälden „Kandinsky und Erma Bossi am Tisch“ sowie „Paul Klee im Sessel“ zu sehen, das Klee-Blatt mit Farbangaben in Bleistift. Der „Tanz der Farben“, den der Ausstellungstitel beschwört, kam bei Klee erst später in Schwung, nach dem Krieg, der das zeitliche Ende der Grafikbestände im Lenbachhaus markiert. Einmal mehr bleibt Kandinsky der alleinige Hausgott. An den Almanach reichte kein späteres Kunstbuch mehr heran.

München, Kunstbau (Königsplatz), bis 26. September. Katalog bei Hirmer, 29,90 €.

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