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Anbetung des Lammes: 1558 malte Michiel Coxcie eine Kopie des zentralen Bildes vom Genter Altar. Sie befindet sich heute in der Berliner Gemäldegalerie.

© Jörg P. Anders

Ausstellung „Der Genter Altar in Berlin“: Dramatische Geschichte eines einzigartigen Bildwerks

Seine Rettung durch die Kunstkompanie der US-Army lieferte den Stoff für den Film "The Monuments Men". Nun erinnert die Gemäldegalerie an die Berliner Jahre des Genter Altars der Brüder van Eyck. Es ist die dramatische Geschichte eines Verlustes.

Es ist die Geschichte eines Verlustes, den keiner wirklich beklagen mag. Der Genter Altar der Brüder van Eyck, dieses Hauptwerk altniederländischer Malerei, war einmal Berlins berühmtestes Stück in der Gemäldegalerie. Seit knapp hundert Jahren befindet es sich wieder dort, wo es ursprünglich herkam: in Gent, in der St.-Bavo-Kirche. Der Versailler Friedensvertrag sah die Rückgabe der 12-teiligen Retabel mit ihren insgesamt zwanzig Bildtafeln vor, als Kompensation für die schweren Zerstörungen, die Deutschland dem neutralen Belgien im Ersten Weltkrieg zugefügt hatte. Nach einigem Widerstand stimmte auch die Direktion der Berliner Gemäldegalerie zu, den „himmlischen Schatz“, wie er 1559 von dem Maler Lucas de Heere in einer Ode besungen wurde, ins „Flamenland“ zurückkehren zu lassen. Dem Museum hätte sonst der Abzug von weit mehr Bildern gedroht.

Das Drama seiner jüngsten Verbringung durch die räuberischen Nationalsozialisten nach Neuschwanstein und weiter ins österreichische Salzbergwerk Aussee, schließlich die Rettung durch die Kunstkompanie der US-Army lieferte den Stoff für den Film „The Monuments Men“.

Gemäldegalerie erinnert an Berliner Jahre des Genter Altars

Anlässlich der 100. Wiederkehr des Jahrestages des Kriegsbeginns erinnert die Gemäldegalerie an die Berliner Jahre des Genter Altars, der 1821 in die Sammlung kam. Ironie der Geschichte: Zu 1914 selbst hätte das Haus nichts Bemerkenswertes beizutragen gehabt, die Folgen dieses denkwürdigen Jahres aber bilden sich in einer klaffenden Lücke ab, die trotzdem nicht bekümmern kann. Der Genter Altar gehört nach Gent, betont Gemäldegalerie-Direktor Bernd W. Lindemann immer wieder. Wie sich aus einem Reparationsverlust kunsthistorisch Funken schlagen lassen, ist nun in der Wandelhalle der Gemäldegalerie zu sehen. Zum ersten Mal seit Eröffnung des Museums am Kulturforum wird in dem riesigen Entree eine eigene Ausstellung präsentiert. Dort steht der Genter Altar in ganzer Größe, wenn auch als Patchwork aus Originalen, Kopien, Reproduktionen. Die Maße hätten die Ausstellungssäle gesprengt.

Die Rekonstruktion aus Gemälden des 16. Jahrhunderts und 19. Jahrhunderts sowie Abzügen von Schwarz-Weiß-Fotografien der vorletzten Jahrhundertwende stiftet anfänglich Verwirrung. Die Elemente stammen vollständig aus Berliner Museumsbestand, das Original darf schon lange nicht mehr auf Reisen gehen. Erhellung zu dem Konglomerat liefern erst die dazugehörigen Texttafeln der von dem Niederländer-Spezialisten Stephan Kemperdick eingerichteten Schau, auf denen sich die Rezeption eines Hauptwerks der Kunstgeschichte darstellt, das seit seiner Vollendung 1432 bewundert, verachtet, begehrt und schließlich zum nationalen Heiligtum erhoben wurde.

Schon Dürer besuchte das "überköstlich hochverständig Gemäl"

Jan und Hubert van Eyck, Die Gerechten Richter, Flügeltafel des Genter Altars
Jan und Hubert van Eyck, Die Gerechten Richter, Flügeltafel des Genter Altars, 1432, verschollen. Foto um 1900

© Staatliche Museen zu Berlin / unbekannt

Gleichgültig ließ der Genter Altar nie, als einziges Werk der altniederländischen Malerei sind für ihn Reaktionen durch alle Jahrhunderte belegt. Dichter schrieben darüber, Künstler ließen sich die Tafeln öffnen, um sie von außen und innen zu studieren. 1521 reiste Albrecht Dürer aus Nürnberg an, um das „überköstlich hochverständig Gemäl“ zu bewundern. Die Berliner Jahre aber begründeten den Ruhm für die Gegenwart, hier begann mit Max J. Friedländer die systematische Erforschung der altniederländischen Malerei, die im 18. Jahrhundert von den Klassizisten noch als primitiv gescholten wurde. Als „grell und bunt“ wurde die Farbgebung empfunden, Jan van Eycks Stil als „kalt und steif“. Als der Dichter Stendhal sie im Musée Napoleon in Paris unter der Kunstbeute der französischen Armee entdeckte, hatte er nur spöttische Worte für die Malerei übrig.

So konnte es auch nur passieren, dass nach der Rückführung die Kirchengemeinde von St. Bavo 1816 ihren größten Schatz für 6000 Franken an einen Brüsseler Kunsthändler verscherbelte. Zwei Jahre später bezahlte der englische Kaufmann Edward Solly, der mit seiner Sammlung in der Berliner Wilhelmstraße residierte, bereits den 40-fachen Preis. Die Präsentation der Tafeln in seiner Wohnung wurde zur Offenbarung für Johanna Schopenhauer, die Mutter des Philosophen. Ein Lichtstrahl traf die musizierenden Engel im Moment ihres Besuchs, es war um sie geschehen. Johanna Schopenhauer schrieb die erste Monografie über die Brüder van Eyck. Der Siegeszug des Genter Altars ins Museum begann. Solly hatte die Tafeln gezielt gekauft, um seine Kollektion als Offerte für den preußischen Staat nochmals attraktiver zu machen. Der griff mit 500 000 Talern prompt zu, um sein von Karl Friedrich Schinkel geplantes Museum adäquat füllen zu lassen. Zwölf Prozent der Summe kostete allein der Genter Altar, der als erstes Werk des Ölmalerei als umso bedeutender galt.

Jan van Eycks Geheimnis der Farben ist bis heute ungelöst

Carl Schulz, Adam und Eva, Kopien nach dem Genter Altar, um 1825/62, BerlinStaatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie
Carl Schulz, Adam und Eva, Kopien nach dem Genter Altar, um 1825/62, BerlinStaatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie

© Christoph Schmidt

Inzwischen hat sich längst geklärt, dass dem keineswegs so ist und auch Jan van Eyck als Erfinder der Ölmalerei eine Legende darstellt. Und trotzdem bleibt das Geheimnis seiner Farbzusammensetzung ungelöst, versucht die Forschung bis heute vergeblich herauszufinden, was der Künstler neben dem Öl den zerriebenen Pigmenten als Bindemittel beifügte. Diese Fragen werden heute in Berlin längst nicht mehr bearbeitet, dafür müssten Restauratoren das Original vor sich haben. Und doch sprechen sie in der Forschungsdebatte mehr als nur ein Wörtchen mit, Berlin besitzt noch immer eine der bedeutendsten altniederländischen Sammlungen weltweit. So wird mit der Ausstellung in der Wandelhalle ein umfangreicher Katalog vorgelegt, in dem auch das ewige Streitthema, die Inschrift am unteren Rand der geschlossenen Tafeln und das Entstehungsdatum, aufgegriffen wird.

Die Widmung wurde übrigens 1911 in Berlin unter Farbschichten entdeckt. Und so ist es doch eine kleine Genugtuung, dass eine Berliner Altphilologin, Christina Meckelnborg, das Geheimnis der Hexameter und Binnenreime gelüftet haben könnte, was sich hinter dem Vierzeiler verbirgt. Sie empfiehlt, die Inschrift wörtlich zu nehmen, die Hubert als ersten Maler des Altars nennt, Jan als den Vollender, schließlich Joos Vyd als Auftraggeber, ebenso die Zahl 1432 als Entstehungsjahr. Das erstaunlich präzise Datum 6. Mai erklärt sich mit dem Tauftag des Sohnes von Herzog Philipp dem Guten und Isabella von Portugal in Gent. Sie brachten prominente Gäste aus dem Ausland mit, potenzielle Botschafter des erwarteten Ruhms für van Eyck in alle Welt. Damit rückt der Altar im Moment seiner Aufstellung auch schon ins Spannungsfeld europäischer Politik.

Genau hinschauen, Wunder entdecken

Die kleine, feine Ausstellung der Gemäldegalerie zum Jahr 1914, die durch die schiere Größe des Altars trotzdem gewaltig ausfällt, macht noch einmal klar, welche Folgen der Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis hinein in die Museumssammlungen hatte. Zugleich macht sie deutlich, wie relativ der Standort eines Kunstwerks sein kann, wie ungesichert der Bestand einer Jahrhunderte alten Sammlung. Und trotzdem gibt es sie noch, die Jan van Eycks in der Berliner Gemäldegalerie: das Porträt von Baudoin de Lannoy (um 1435/37) sowie das Bildnis eines Mannes aus der Familie Arnolfini (um 1440). Und winzig klein „Die Madonna in der Kirche“ (um 1440). Wer genau hinschaut, wird entdecken: Das Wunder steckt auch darin.

Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, bis 29. 3.; Di / Mi / Fr 10–18 Uhr, Sa / So 11–18 Uhr. Katalog (Imhof Verlag) 19,90 €.

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