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Hirschfeld

© Sammlung Adelheid Schulz

Ausstellung: Die alte Welt muss stürzen

„Sex brennt“: Die Berliner Charité erinnert an den Sexualreformer Magnus Hirschfeld.

„Das Auffallendste an Denkmälern ist, dass man sie nicht bemerkt“, hat Robert Musil einmal behauptet. Die Erinnerten würden ins Abseits geschoben. Mit den Erinnerungstafeln vor Magnus Hirschfelds früherem Wohnhaus in der heutigen OttoSuhr-Allee und am Sitz seines 1919 errichteten Instituts für Sexualwissenschaft verhält es sich anders. Streit gab es bereits bei ihrer Installation, denn Berlin tat sich jahrzehntelang schwer mit dem schon im Kaiserreich umtriebigen Sexualreformer. In den achtziger Jahren versandete der Versuch, an der FU einen Lehrstuhl für Sexualwissenschaft in der Tradition Hirschfelds einzurichten. Der fand dann zehn Jahre später Unterschlupf bei den Medizinern der HU. Am Bundesrat scheiterte 2002 eine Stiftungsinitiative, die die von den Nazis verfolgten Homosexuellen endlich entschädigen wollte. So hing dem Namen Hirschfeld von jeher etwas Schmuddeliges an, etwas von jener Halbwelt, die das bürgerliche Berlin nächtens zwar gerne goutiert, bei Tageslicht aber lieber vergisst.

Das mag die Ausstellungsdesigner Eran Schaerf und Christian Gänshirt bewogen haben, die Besucher im Medizinhistorischen Museum der Charitè durch dunkel-labyrinthische Kartonage-Gänge irren zu lassen, wo der Trieb das Regime übernimmt und „Sex brennt“, wie der Titel der Schau vieldeutig verspricht. Gemeint ist damit keineswegs nur die körperlich-seelische Konditionierung, sondern auch der Zündstoff, den das von Hirschfeld mit gegründete Wissenschaftlich-humanitäre Komitee und später sein Institut lieferte. Der Kampf der Sexualreformer gegen den Homosexuellenparagrafen 175, den Abtreibungsparagrafen 218, den Pornografieparagrafen 184 oder ihre forcierten Aufklärungskampagnen bot den Nationalsozialisten ein frühes Angriffsfeld.

Der Jude Hirschfeld war für sie die Inkarnation der sexuallibertären Bewegung „wider den deutschen Geist“. Da nützte es nichts, dass mancher Institutsbesucher sich später in die NSRegierung verirrte, wie Walter Mehring bissig anmerkte. Der Hass gegen Hirschfeld – und man könnte mutmaßen: der Selbsthass – war so außerordentlich, dass das Institut als erste Einrichtung von der NS-Studentenschaft geplündert und die wertvolle Bibliothek bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 den Flammen übergeben wurde. „Wir wollen keine Entsittlichung des Volkes, darum brenne, Magnus Hirschfeld“, skandierten die Brandschatzer und spießten zur Abschreckung Hirschfelds Büste auf einen Stock.

Der 75. Jahrestag der Bücherverbrennung lieferte Kurator Rainer Herrn und dem Medizinhistorischen Museum den Anlass, die Geschichte des Hirschfeld-Instituts und seine Vernichtung in Erinnerung zu rufen. Statt auf Exponate hinter Glas setzen die Macher auf Dokumente, nach Themenfeldern arrangiert: die Verfolgung durch die Nazis und die Schließung des Hauses „In den Zelten 2“, die wissenschaftliche Arbeit, Sexualaufklärung und Sexualpolitik und schließlich Hirschfelds Exiljahre bis zu seinem Tod am 14. Mai 1935.

Neben Bekanntem ist auch bislang unzugängliches Material zu entdecken: Aus dem Privatbesitz von Adelheid Schulz etwa, der heute 96-jährigen Wirtschafterin des Instituts, die die Plünderung miterlebte, und aus dem Nachlass, der auf abenteuerliche Weise die Berliner Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft erreichte. Die auf DIN-A-5 Karten aufgezogenen Dokumente, an die Pappwände gepinnt, wirken allerdings etwas kleinteilig und textüberladen: Wer sich durch die Ausstellung lesen will, benötigt Zeit. Wer das lieber zu Hause tun möchte, wird – eine schöne didaktische Idee – am Ende des Durchgangs mit den Karten beschenkt, eine verspätete Flaschenpost Hirschfelds, der Freunde und Kollegen gerne mit Postkarten bedachte.

Vielleicht wird bei der Re-Lektüre auch deutlich, warum sich Hirschfeld nicht umstandslos in den Opferreigen eingemeinden lässt. Die gnadenlose Verfolgungsgeschichte ist geeignet, seine wissenschaftlichen und politischen Irrtümer zu übersehen. Sein Konzept vom „dritten Geschlecht“ und die Annahme angeborener sexueller Abweichungen war zwar um Rehabilitation der Betroffenen bemüht, doch biologistisch grundiert. War der „Pop-Akademikus“ Hirschfeld auf dem Feld der Transsexuellen-Forschung innovativ, blieb er als Bevölkerungspolitiker den eugenischen Paradigmen der Zeit verpflichtet: „Wenn man wirklich eine energische Ausjätung betreiben will“, kommentierte er noch aus dem Exil „das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, werde man die Rauschsüchtigen und Alkoholiker im Blick haben müssen.

Die Ausstellungsmacher scheinen eher dem Auftrag verpflichtet, Hirschfeld ins kollektive Gedächtnis zurückzuholen und die „gedenkpolitischen Versäumnisse“ gutzumachen, von denen Berlins Regierender Klaus Wowereit zur Eröffnung sprach. Dem gehorchen auch die sechs künstlerischen Arbeiten, die Hirschfelds Werk kommentieren. Hervorzuheben ist Ulrike Ottingers Installation „Ein Gästebuch für die Welt“, eine beeindruckende, bedrückende Collage von Hirschfelds Weltreise. Und das von Marita Keilson-Lauritz aufwendig zusammengetragene Gästebuch Hirschfelds versammelt Fundstücke aus dem Exil, die mit zu entschlüsseln die Besucher aufgefordert werden. „Die alte Welt muss stürzen, wach auf, Morgenluft“, schreibt Alfred Döblin 1933 an Hirschfeld. Das „Dritte Reich“ dauerte „nur“ 12 Jahre; 100 Jahre gingen ins Land, bis der diskriminierende Paragraf 175 in Deutschland fiel.

„Sex brennt. Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft und die Bücherverbrennung“. Medizinhistorisches Museum der Charité, bis 14. September. Di – So 10 – 17 Uhr, Mi u. Sa. bis 19 Uhr. Infos: www.bmm.charite.de

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