zum Hauptinhalt
Kaulbach

© Blauel/Gnamm/Arthotek

Ausstellung: Generation Gaslicht

Das Deutsche Historische Museum Berlin beleuchtet in einer neuen Ausstellung die wahre Gründerzeit – von 1848 bis 1871.

Recht besehen, dauerte die Gründerzeit gerade einmal drei Jahre: Vom Sieg Preußens über den „Erbfeind“ Frankreich im Januar 1871 bis zum „Gründerkrach“ an den überhitzten Börsen nur drei Jahre darauf. Doch der Begriff wurde zum Signet einer ganzen Epoche. Es ist dies der erste Abschnitt des Zweiten Kaiserreichs, der die längere Ära eines schier grenzenlosen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Wachstums bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 folgte.

Vom Nachzügler zum Vorreiter

In dieser Gründerepoche wandelte sich Deutschland vom Agrar- zum Industriestaat, vom Nachzügler zum Vorreiter. Am Anfang stand der Emporkömmling, der Neureiche, der Spekulant. Aus dem Nichts gekommen, versuchte er sich Status zu erkaufen: durch die ebenso parvenühafte Drapierung seiner Lebensumstände. Es entstand jene (Un-)Kultur, die wir mit dem Begriff der Gründerzeit verbinden und die uns in den „gründerzeitlichen Fassaden“ der „Mietskasernen“ bis heute vertraut ist: als angeklebter Schmuck auf tristem Untergrund.

Weit gefehlt, sagt nun das Deutsche Historische Museum (DHM). In der Ausstellung „Gründerzeit 1848–1871“, die heute Abend eröffnet wird, geht es um die beiden Jahrzehnte vor der namensgebenden Gründerzeit. Um das vergleichsweise stille Anwachsen dessen, was erst später als Industrielle Revolution zum Begriff wurde. Es geht um die „Gründerväter“ von Krupp bis Siemens auf der einen und Kolping bis Bebel auf der anderen Seite. Es geht um den „Segen der Wissenschaft“ oder um „Die Jagd nach dem Glück“, wie einzelne Abteilungen längs des bogenförmigen Hauptwegs im Untergeschoss des Pei-Baus überschrieben sind.

Die vergessenen 50er und 60er Jahre sollen Beachtung finden

Zwischen Biedermeier und Reichsgründung entstand jene Welt, die uns bis heute vertraut ist, die Welt der industriell hergestellten Produkte, die Welt als Produkt maschinell gelenkter menschlicher Arbeit. Als „wirtschaftshistorische Ausstellung“ bezeichnet die Essener Kuratorin Ulrike Laufer ihre Unternehmung, die die in Vergessenheit geratenen fünfziger und sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts ins Recht setzen will.

Es sind die schönsten Jahrzehnte des Bürgertums, die Zeit, da der bürgerliche Unternehmer tatsächlich die Avantgarde der Gesellschaft bildete, indem er mit der umfassenden Aneignung fremder Arbeitskraft zugleich alle feudalen und ständischen Schranken niederriss, wie es Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest“ so schön beschreiben. Und so ist denn die ganze Ausstellung eine Hommage ans Bürgertum, an Gewerbefleiß und Fortschrittsglauben – just bevor mit der Reichsgründung 1871 Prunk und Protz die Oberhand gewinnen.

Politische Konflikte der Zeit nur am Rande

Die Ausstellung beginnt mit dem silbernen Maurerwerkzeug, das der preußische König Friedrich Wilhelm IV. 1852 bei der Grundsteinlegung zum Weiterbau des Kölner Domes verwendete. Ein hübsches Aperçu, dass sie mit jenem Glasfenster endet, das der Kölner Kabelfabrikant F. Guillaume zur Vollendung 1880 stiftete, mit elektrischen Blitzen im gotisierenden Maßwerk. Das Objektpaar verrät viel über den reaktionären Geist der Epoche, in dessen erzwungener Grabesruhe das Bürgertum zu Wohlstand kam, nachdem es sich die politische Mitbestimmung hatte nehmen lassen.

Politisch mitreden wollte der aufkommende „Vierte Stand“, von dem in der Ausstellung nicht nur aus Mangel an geeigneten Schaustücken kaum die Rede ist. Sicher, da hängt am Ende das kostbare Traditionsbanner der deutschen Sozialdemokratie, die tiefrote Fahne der Lassalleaner von 1873 mit dem Motto „Einigkeit macht stark“. Doch die sozialen Verwerfungen und politischen Konflikte bleiben hier am Rande.

"Unsere Protagonisten sind die Bürger"

Gleich zweimal sind Bildnisdoppel der saarländischen Bergbaudynastie Stumm zu sehen. Einmal rahmen sie einen nachgebauten Kamin, dann wieder, in der Folgegeneration, ein Monstrum von eichernem Schreibtisch. Dass die Stumms ein quasifeudales Regiment führten, ist bildlich nicht überliefert. Wie auch? Arbeiter waren nicht bildwürdig; auf Fotografien allenfalls, wenn sie für ein Belegschaftsfoto posierten. Adolph von Menzel hat 1855 den „Kopf eines Arbeiters“ gemalt, unsentimental wie immer. Nur wird dieses kleinformatige Gemälde so beiläufig präsentiert, wie es die Fülle der 750 Objekte wohl erzwinget – mag auch die Ausstellung insgesamt übersichtlich aufgebaut sein. Von Krupp sind Fotos der palastartigen „Villa Hügel“ zu sehen; doch warum nicht ein Geschütz des „Kanonenkönigs“?

„Unsere Protagonisten sind die Bürger“, beharrt Ulrike Laufer. Nichts dagegen – aber dann bitte mit dem Wagemut, der damalige Bürger ausgezeichnet hat, und nicht in dieser biedermeierlichen, nippesgezierten Beschaulichkeit. Die Erfindung des Gaslichts beispielsweise: was für ein Thema! Nicht mehr „die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht“, wie es in der „Zauberflöte“ heißt, sondern das Gaslicht ermöglicht den 12-Stunden-Arbeitstag in der Fabrik, sommers wie winters.

Viele Themen werden nur angerissen

Vorbei die Zeit einer „Näherin beim Schein einer Kerze“ um 1830. Das hinterleuchtete Transparentbild musste aus London besorgt werden, und nicht nur an dieser Stelle fragt sich der Betrachter, was es mit dem hauseigenen Fundus auf sich haben mag, wenn schon die großen Highlights aus den Museen fehlen und – noch ärgerlicher – manches durch Kopien ersetzt wurde. Hätte nicht zumindest Menzels Eisenwalzwerk von 1875, das doch die Summe der Epoche zieht, aus der Alten Nationalgalerie herübergebracht werden können?

So müssen sich die Höhepunkte der Ausstellung neben dekorativem Beiwerk ducken. Familiengeschichten wie die der Kölner Bankiers Oppenheim – Simon ließ sich 1854 von Carl Begas als angespannter Augenblicksmensch porträtieren – erschließen sich aus dem umfassenden Katalog. Erst da geht dem Betrachter auf, dass die Ansammlung von Kapital zuallererst die Sache weitverzweigter Familien war, bevor 1871 Aktiengesellschaften an die Spitze traten. Bevor fein gravierte Aktien an die Stelle der kraftvollen Persönlichkeiten traten, wie sie die Ausstellung bewundernd vorstellt.

So reißt die Ausstellung des DHM vieles an, ohne ein Thema ganz auszuführen. Immerhin gelingt es ihr eindrucksvoll, die vergessenen Jahre vor der waffenklirrenden Reichsgründung ans Licht zu holen. Wenn es im Pei-Bau auch nicht mehr das geheimnisvolle Gaslicht der damaligen Epoche ist, sondern das nüchterne Elektrolicht späterer Zeiten.

Deutsches Historisches Museum, Pei- Bau, Hinter dem Gießhaus 3, bis 31. August, tgl. 10–18 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false