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Licht und Luft. Herbert Hirches Musterwohnung im Haus Pierre Vago auf der Internationalen Bauausstellung Berlin 1957.

© Foto-Kessler, Werkbundarchiv/Museum der Dinge

Ausstellung "Gern modern?" in Berlin: Besser leben, besser sein

Wohnen im Nachkriegs-Berlin: Die Ausstellung „Gern modern?“ im Berliner Museum der Dinge erzählt davon, wie die Deutschen durch die richtige Einrichtung zu besseren Bürgern werden sollten

„Unbegreiflich, schauderhaft, in so was hat man mal gewohnt?“ Ein per Schnelldurchlauf durch die Einrichtungssünden des 19. und 20. Jahrhunderts zum lichten und luftigen Wohnzimmer der fünfziger Jahre bekehrter Möbelhersteller wendet sich entsetzt von der plüschigen Gründerzeithöhle ab, die ihm wenige Minuten zuvor noch gefallen hat. So zu sehen im putzigen, 1952 fabrizierten Einrichtungslehrfilm „Hören Sie auf Johanna“. Den schlichten Lampenentwurf der jungen Designerin hatte der Fabrikant eingangs als „sehr nüchtern“ abgelehnt. Darauf erwidert sie, eine Lampe müsse heute keine nachgebaute Petroleumlampe mehr sein und schickt ihn auf die Höllentour des schlechten Geschmacks.

Die kurzweiligen 13 Minuten sind nur einer von diversen historischen Filmen und Rundfunksendungen, die die schöne Ausstellung „Gern modern? – Wohnkonzepte für Berlin nach 1945“ begleiten. Der didaktische Tonfall kündet vom geradezu rührenden Erziehungswillen der Zeit. Johanna ist die Prophetin des richtigen Wohnens, und das bessere Leben ist ihre Mission. Ganz wie Kuratorin Nicola von Albrecht beim Rundgang sagt: „Die Nachkriegswohnkonzepte waren politisch ungemein aufgeladen.“ Sie erzählen vom „Systemkampf“, dem „Schaufenster-Wettstreit“ zwischen West- und Ost-Berlin. Und vor allem vom Bemühen, durch transparentes Wohnen einen neuen Menschen zu schaffen – gewissermaßen die Redemokratisierung der unter die nationalsozialistischen Räuber gefallenen Deutschen durch die gute Form.

Schule des Geschmacks. Schüleraktion mit Berliner Werkbundkisten, um 1955.
Schule des Geschmacks. Schüleraktion mit Berliner Werkbundkisten, um 1955.

© Bildbericht Orgel-Köhne, Berlin, Werkbundarchiv/Museum der Dinge

Wann, wenn nicht jetzt, gilt es schließlich neu anzufangen? 1945, Berlin liegt in Trümmern. Die Stadt ist voll mit Ausgebombten und Flüchtlingen, was eindrucksvolle Fotografien des Briten Cecil F. S. Newman von überfüllten Notunterkünften belegen. Kein Thema brennt so sehr, Wohnraum muss her. Die dem Werkbund nahestehenden, häufig den Bauhaus-Idealen verpflichteten Architekten und Designer betrachten die Stunde Null als Chance, ihre in den zwanziger Jahren entwickelten, unter den Nationalsozialisten verpönten Ideen zum Neuen Bauen und Wohnen wiederzubeleben. Lilly Reich, Mies-van-der-Rohe-Schülerin und eine der Protagonistinnen des ästhetischen und gesellschaftlichen Aufbruchs, nennt es „einen günstigen Augenblick, einer wirklich kulturell hochstehenden Wohnform den Weg zu bereiten“. In der Rückschau hört man im hohen Ton mancher dieser lautere Ideen propagierenden Texte durchaus noch das klingende Pathos der NS-Zeit heraus.

Die historischen Klammern der Wohnratgeber, Plakate, Möbel, Einrichtungsgegenstände, Hausentwürfe und vieles mehr versammelnden Schau sind zwei wegweisende Ausstellungen. Die von Hans Scharoun 1946 im Berliner Stadtschloss eröffnete „Berlin plant. Erster Bericht“ propagiert einen radikalen Stadtumbau. Weg von den ungeliebten Mietskasernen der Gründerzeit hin zur aufgelockerten, grünen, von Großsiedlungen geprägten und selbstverständlich autogerechten Stadtlandschaft. Und die Internationale Bauausstellung von 1957, die im Hansaviertel mit rund 60 Musterwohnungen das bedeutendste Schaufenster moderner Wohnkonzepte der fünfziger Jahre ist.

Berliner Notunterkunft. Fotografiert von Cecil F.S. Newman im Jahr 1946.
Berliner Notunterkunft. Fotografiert von Cecil F.S. Newman im Jahr 1946.

© Stiftung Stadtmuseum Berlin

Das Hansaviertel ist genau wie das gleich am Eingang der „Gern modern?“-Ausstellung positionierte Modell des bereits 1952 von den Gebrüdern Luckhardt erbauten „Wohnhochhauses am Kottbusser Tor“ ein bewusstes Signal der städtebaulichen Konkurrenz zwischen West- und Ost-Berlin. Die schlichten, mit roten Balkonen akzentuierten Hochhausriegel an der Ecke Skalitzer- und Admiralstraße grenzen sich vom Zuckerbäckerstil der damaligen Stalinallee ab. Sie sind ein Vorzeigeprojekt des sozialen Wohnungsbaus – und bieten Licht, Luft, Müllschlucker und reichlich Parkfläche. Genau wie die Interbau-Häuser im Tiergarten fungieren sie als Symbol eines besseren Lebens.

Dem deutschen Wirtschaftswunder folgt das deutsche Kulturwunder. Oder wie es ein Text zur Interbau unter dem Schlagwort „Wohnen = Sehnsucht der Menschen“ ausdrückt: „In Frieden, in Freiheit, in einem Heim, im Kreis der Familie geborgen zu sein, das ist (...) die Voraussetzung für das zufriedene Zusammenleben eines Volkes.“ 65 Quadratmeter Harmonie, das ist die 1954 gesetzte Standardwohnungsgröße für eine vierköpfige Familie, die im Kalten Krieg offensichtlich als kleinste antikommunistische Widerstandszelle betrachtet wird.

Schon schön. "Haus der Zukunft" in der Ausstellung "Wir bauen ein besseres Leben" (Deutsche Industrieausstellung 1952).
Schon schön. "Haus der Zukunft" in der Ausstellung "Wir bauen ein besseres Leben" (Deutsche Industrieausstellung 1952).

© Ewald Gnilka, Werkbundarchiv/Museum der Dinge

Dafür, dass guter Geschmack und demokratische Einstellung deckungsgleich werden, sorgen ab 1958 die Berliner Wohnberatungsstellen, die nicht nur die Eltern, sondern auch schon Schüler von der verhängnisvollen Neigung zum Gelsenkirchener Barock kurieren wollen. Lustige Musterkoffer mit Küchengeräten und Bauklötzen erzählen davon.

Vom Museum der Dinge in der Oranienstraße sind es nur fünf Minuten Fußweg zum Vorzeige-Wohnturm am Kottbusser Tor. Den einstigen Stolz von West-Berlin lässt heute der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen planvoll vergammeln. Direkt davor steht das Protestzelt der Mieterinitiative Kottbusser Tor. Hier schließt sich der Kreis vom Nachkriegs- zum Gentrifizierungs-Berlin.

"Gern modern? - Wohnkonzepte für Berlin nach 1945" im Werkbundarchiv/Museum der Dinge, Oranienstraße 25, Kreuzberg, bis 26. Juni, Do-Mo 12-19 Uhr, Infos: www.museumderdinge.de

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