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Ausstellung: Großer Grenzverkehr

Mythos, Macht, Monument: Die Ausstellung "Tür an Tür" präsentiert tausend Jahre deutsch-polnische Geschichte im Berliner Martin-Gropius-Bau.

Mein Großvater, Jahrgang 1908 und nach eigenem Bekunden ein unpolitischer Mensch, sprach mit der größten Selbstverständlichkeit von polnischer Wirtschaft, wenn ihm etwas chaotisch vorkam. Uns jüngeren Ostdeutschen, groß geworden mit der Mauer, erschien das sozialistische Polen vor Verhängung des Kriegsrechts 1981 hingegen als Fenster gen Westen, wo die Frauen eleganter waren und das intellektuelle Leben liberaler.

Vorurteile und Projektionen haben das Verhältnis von Deutschen und Polen im Zeitalter des Nationalismus immer wieder schwer belastet. Zwischen 1939 und 1945 kostete diese Nachbarschaft fünf Millionen Menschen in Polen das Leben. Nach Kriegsende wurden erneut Millionen – diesmal Deutsche und Polen – aus ihrer Heimat vertrieben. Beides ist, bei allem Schmerz auch nachfolgender Generationen, inzwischen Geschichte. Mit dem Beitritt zur EU am 1. Mai 2004 bekannte sich Polen zu einer gemeinsamen Zukunft.

20 Jahre nach dem bilateralen Nachbarschaftsvertrag von 1991 macht sich nun der Berliner Martin-Gropius-Bau gemeinsam mit dem Museum Königsschloss Warschau daran, die polnische EU-Ratspräsidentschaft mit einer außergewöhnlichen Ausstellung in Berlin zu feiern. Mit „Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte“ soll – diese Hoffnung spricht aus allen Festreden – nichts Geringeres als freundschaftliche Normalität besiegelt werden. Noch allerdings ist diese Freundschaft zu jung und kostbar, um als business as usual durchzugehen. Die kulturhistorische Großausstellung, 800 Objekte in 22 Kapiteln, wurde von Bundespräsident Christian Wulff und Polens Staatspräsident Bronislaw Komorowski unter großer, zumal polnischer Medienresonanz eröffnet.

Neunmal, so Wulff in seiner Ansprache, hätten sich Komorowski und er in den vergangenen eineinhalb Jahren getroffen. Der Wunsch, das deutsch-französische Aussöhnungswunder der Nachkriegsjahrzehnte zu wiederholen, ist unübersehbar. Kultur als Symbolform von Politik dient dabei – seit Willy Brandts legendärem Polenbesuch von 1970 – als Motor der Annäherung.

Was also ist das Gemeinsame, Verbindende in der Kultur und Geschichte beider Völker? Anda Rottenberg, Hauptkuratorin der Ausstellung und eine der wichtigsten Expertinnen polnischer Gegenwartskunst, verweist auf die Solidarität von Denkern, Künstlern – und Königen: „In den ersten 800 von 1000 Jahren deutsch-polnischer Geschichte war Europa ein Ort, in dem man nicht von Nationen sprach: ein Modell, das heute wieder erstrebenswert erscheint.“

Und natürlich lässt sich – ein Erzählstrang der Ausstellung – die deutsch-polnische Koexistenz als Abfolge hochadeliger Hochzeiten erzählen, bei der Piasten, Jagiellonen, Habsburger und Wittelsbacher untereinander dynastische Bande knüpften und politische Einflüsse austarierten. Oder als geografischer Resonanzraum großer Ideen, verdichtet etwa in der Gestalt des Bildschnitzers Veit Stoß, der zwar in der Freien Reichsstadt Nürnberg seine künstlerische Laufbahn begann und beschloss, doch mit dem Hochaltar der Marienkirche in der damaligen polnischen Hauptstadt Krakau sein Hauptwerk schuf.

Das Krakauer Marienretabel, ein europäisches Jahrhundertkunstwerk, hinterließ wie vielerorts auch in der Kunst Pommerns und Schlesiens deutliche Spuren – und wurde während der deutschen Besetzung zur Raubkunst. Die Nazis stilisierten Stoß zum „deutschen Meister“ und verbrachten sein monumentales Krakauer Altarwerk nach Nürnberg.

Anda Rottenberg hat das komplette druckgrafische und zeichnerische Werk von Veit Stoß zusammengebracht, dazu geschnitzte Meisterwerke wie die wundervolle Buchsbaumstatuette einer Mondsichelmadonna aus dem Londoner Victoria and Albert Museum. Eine Ausstellung in der Ausstellung, so exquisit, dass sie allein schon den Besuch lohnt. Heute ist es nur noch eine akademische Frage, was an dieser spätgotischen Hochkunst fränkisch, was polnisch ist.

Weiter auf Seite zwei.

Im Jahre 1000 unternahm Kaiser Otto III. eine Pilgerreise nach Gnesen, um am Grab des 997 als Missionar erschlagenen Heiligen Adalbert zu beten. Im Akt von Gnesen erklärte er den großpolnischen Herzog Boleslaw I., den Tapferen, zum cooperator imperii, zum Freund und Mitarbeiter des Reichs, vereinbarte die Ehe seiner Nichte Richeza mit Boleslaws Sohn Mieszko II. und dekretierte die Unabhängigkeit des neuen Erzbistums Gnesen. Damit konnte Otto den werdenden polnischen Staat dauerhaft für den Westen und die römisch-lateinische Kirche gewinnen.

Jede Geschichtsbetrachtung ist ein Konstrukt. Auf der Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung zeigten sich einige polnische Journalistenkollegen erstaunt darüber, wie ungebrochen die Kuratoren das Treffen von Gnesen als Gründungsakt gutnachbarschaftlicher Beziehungen vermitteln. Denn in Polen war in den letzten 150 Jahren ein ganz anderer deutsch-polnischer Geschichtsmythos übermächtig: der Deutsche Orden und die Schlacht von Tannenberg/Grunwald 1410. Damals wurde die Macht der Ritter mit dem schwarzen Kreuz und ihres Ordensstaates wenn auch nicht beendet, so doch gebrochen. Krzyzacy, Kreuzritter, ist bis heute eines der schlimmsten polnischen Schimpfwörter für einen Deutschen. Noch in der Populärgeschichtsschreibung im kommunistischen Polen wurde eine direkte Linie von den Deutschordensrittern über Friedrich den Großen, der an den polnischen Teilungen im 18. Jahrhundert beteiligt war, bis zu Hitler gezogen.

Im Lichthof des Gropius-Baus inszeniert der Warschauer Ausstellungsdesigner Jaroslaw Kozakiewicz eine Art museales Endlager für den Geschichtsmythos. Jan Matejkos Monumentalgemälde der Tannenberg-Schlacht von 1878, einst als „Altar der polnischen Kunst“ verherrlicht, ist zwar nicht im Original ausgestellt, sondern in einer beinahe originalgroßen Kreuzstickerei. 35 Mitglieder des Stickkreises eines Kulturzentrums saßen zwei Jahre an dieser monströsen Handarbeit, die 2010 bei den Feierlichkeiten zum 600. Jubiläum der Schlacht erstmals präsentiert wurde. Nach Berlin haben die Kuratoren einen anderen Historienschinken Matejkos transportiert: die „Preußische Huldigung“ von 1882. Auf knapp acht Metern zeigt Matejko jenen Augenblick im April 1525, in dem Albrecht von Brandenburg-Ansbach, der letzte Ordenshochmeister, der im Ordensstaat regierte, König Sigismund I. von Polen den Lehnseid schwört und damit sich und sein künftig weltliches Herzogtum Preußen zum Untertanen der polnischen Krone machte.

Hier wie andernorts in der Ausstellung werden eine Unmenge von historischen Urkunden, Gemälden, Grafiken und Preziosen präsentiert, deren Kontext für durchschnittlich gebildete Deutsche nur schwer verständlich sein dürfte. „Tür an Tür“ ist eine – konsequent zweisprachige – Ausstellung, bei der viele Besucher auf Hilfsmittel wie Katalog, Audioguide oder das Begleitprogramm angewiesen sein werden. So ertüchtigt, lernt man viel.

Anda Rottenberg, die jahrelang den polnischen Pavillon auf der Biennale von Venedig kuratiert hat, wäre nicht Anda Rottenberg, wenn sie auf die Präsenz zeitgenössischer Kunst verzichtet hätte. Schon in den ersten Räumen demonstrieren Arbeiten wie Miroslaw Balkas 1987 entstandene Installation zum „Hl. Adalbert“, wie weit Anda Rottenberg dem subjektiven Künstlerblick vertraut. In der zweiten Ausstellungshälfte, die sich dem späten 19. und dem 20. Jahrhundert widmet, wird das zum Problem. Das quantitative Verhältnis zwischen kulturhistorischer Darstellung und Kunstkommentar kehrt sich um, ohne dass die künstlerischen Beiträge den Erzählfaden stringent weiterspinnen könnten.

Das Prinzip kulturhistorische Ausstellung erreicht in „Tür an Tür“ wieder einmal seine Grenzen. Doch ausreichend Freiraum für Erkennen, Staunen, Erinnern ist selbst in diesem verdichteten Parcours zu finden. Im Raum, der sich dem Zweiten Weltkrieg widmet, sind fast ausschließlich Werke der bildenden Kunst zu sehen – darunter Artur Zmijewskis schrecklich-schöne Videoarbeit „Fangspiel“, die den Holocaust thematisiert. In einer Vitrine liegen lediglich ein Warschauer Stadtplan von 1941 mit eingezeichnetem Ghetto und die Dokumentation geraubter Kulturwerte, die der Kunsthistoriker und SS-Offizier Kajetan Mühlmann unter dem pseudosachlichen Titel „Sichergestellte Kunstwerke“ vorgelegt hat.

Die große Leerstelle ist in solch simplen Gegenüberstellungen fast physisch zu spüren. Ihre Wunden werden bleiben. Doch der Blick durch die offene Tür ist inzwischen unvoreingenommen und frei.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 9. Januar, Mi-Mo 10-20 Uhr, Katalog (DuMont Verlag), 22 €

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