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Bianca Kennedys Installation "VR all in this together" (2018) im Literaturhaus.

© Bianca Kennedy / Literaturhaus

Ausstellung im Literaturhaus: Virtual Reality im Bällebad

Übersetzung von einem Medium ins andere: Eine Ausstellung im Literaturhaus untersucht das künstlerische Potential von Virtual Reality.

Mitten im Literaturhaus soll sich der Besucher in eine Badewanne legen. Es wird empfohlen, seitlich einzusteigen. Mehr oder weniger gemütlich zwischen Plastikbällen liegend, soll der Besucher dann eine VR (Virtual Reality)-Brille aufsetzen. Und plötzlich befindet er sich in der Badewanne einer Frau gegenüber, die sich langsam mit einem Schwamm wäscht. Ein Mann taucht unter Wasser und stoppt die Zeit. Hinter dem VR-Besucher ist ein Paar zu Gange, nur die zwei Kinder sind fast reglos. Eines versucht einen Fisch zu fangen, der in der Wanne schwimmt.

Wer nun an sich herunterschaut, entdeckt Brüste und weiß nur so viel über sich, dass er die anderen rundum wie ein Voyeur beobachtet. „VR all in this together“ lautet der Titel der Arbeit. Also, wir stecken da zusammen drin, zumindest in diesem immersiven Badeerlebnis von Bianca Kennedy. Ohne VR-Brille ist der Badespaß sehr schnell vorbei. Der Weg zur nächsten immersiven Welt ist aber nur eine halbe Wannenbreite lang.

Stumme Unterhaltung mit dem Herrgott

In der Ausstellung „Touching from a Distance. Transmediationsprozesse im digitalen Zeitalter“ des Medienkunstvereins Mitte geht es um den Übersetzungsprozess von einem Medium ins andere. Bianca Kennedy etwa hat aus ihren zweidimensionalen Zeichnungen eine 360-Grad-Animation gemacht. Die drei Kuratorinnen Manja Ebert, Tina Sauerländer und Peggy Schoenegge deklinieren nicht ein Thema im Detail durch, um einen Gedanken zu entwickeln, den die Kunst illustrieren darf. Sie suchen stattdessen ergebnisoffen nach Möglichkeiten und laufen mit vielen Gedanken in verschiedene Richtungen. Dabei besteht zwar die Gefahr, sich zu verlaufen, doch das passiert hier nicht. Die drei haben eine kluge Werkauswahl getroffen und mit ihren Texten im schmalen Programmheft genug Wegweiser aufgestellt.

Kristina Paustian übersetzt in ihrem anrührenden Video „Priez dieu qu’il m’envoie un peu de génie“ Emotionen in Gestik. Sie überdehnt schmerzhaft die Finger, sie drückt und reibt ihre Hände, die Augen sind feucht, der Blick flehentlich. Die Künstlerin befeuchtet sich die Lippen, hält die Hände auf, als würde sie das erflehte Genialische von oben erwarten. Knapp sieben Minuten führt Paustian stumm ihre Unterhaltung mit dem Herrgott, dann steht sie auf und geht.

Der Boden schwankt, das Wasser steht bis zum Hals

Das Thema Kommunikation im digitalen Zeitalter ist der rote Faden. Wie kommunizieren wir miteinander, wenn wir uns sehen, aber die Worte fehlen, wie bei Kristina Paustian? Wie kommunizieren wir, wenn wie bei der taubstummen Künstlerin Christine Sun Kim, die Stimme und das Gehör fehlen? In ihrem Werk „Instagram vs. Reality“ wägt sie ab, welche Vorteile die Kommunikation in sozialen Medien für sie hat. „Ich würde meine Hände in die Taschen tun und wie ein cooler Motherfucker zuhören, anstatt meine Jacke merkwürdig zwischen den Beinen zu halten, während ich rede“, schreibt sie. Instagram mache ihr Leben angenehmer, es nehme ihr den sozialen Druck. Und was passiert, wenn uns jemand wie das Swan Collective davon überzeugen möchte, dass wir gar keine menschlichen Wesen, sondern künstliche Intelligenz sind, die in eine Social-Media-App integriert wurde? Der Boden schwankt, das Wasser steht einem mit der Brille vor den Augen bis zum Hals. Schnell stellt sich ein Gefühl der Beklemmung ein.

Die Ausstellung zeigt, welches künstlerische Potenzial in Virtual und Augmented Reality steckt. Dem Medienkunstverein ist mehr Präsenz in Form von Ausstellungen in Berlin zu wünschen. Im Literaturhaus selbst allerdings befindet er sich an einem überraschenden Ort. Umso einfacher die Erklärung: Sonja Longolius, eine der beiden neuen Leiterinnen des Literaturhauses, ist auch im Vorstand des Medienkunstvereins.

Literaturhaus, Fasanenstr. 23, bis 14. 10.; Mi bis Fr 14 – 19 Uhr, Sa/So 11 – 19 Uhr.

Anika Meier

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