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Neon-Welt. Ein „Akira“-Bild von Toshiharu Mizutani.

© 1988 MASH・ROOM/ Akira Committee

Ausstellung im Museum für Architekturzeichnung: Als Tokio explodierte und neu erbaut wurde

Aus 120.000 Zeichnungen entstand der japanischen Animationsfilm „Akira“, der das Genre Animé begründete. Einige sind jetzt in Berlin zu sehen.

Die Kamera blickt aus großer Höhe auf eine Schnellstraße und folgt, indem sie allmählich in die Horizontale schwenkt, ihrem Verlauf. Neben den Häusern entlang der Straße werden immer weitere Häuser sichtbar, bis in der Ferne ein Hochhaus-Cluster erkennbar wird, bis die Stadt am Horizont im dunstigen Blau des Himmels verschwimmt. Die Hochhäuser markieren Shinjuku, den berühmten, von Leuchtreklamen überstrahlten Stadtteil Tokios, in dem die japanische Zukunftsverliebtheit wie -versessenheit Gestalt gewonnen hat.

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Und dann zerreißt eine gewaltige Explosion das beschauliche Bild. Das geschieht im Film, mit dem Titel „Akira“, einem japanischen Animationsfilm beziehungsweise dem Animationsfilm schlechthin, der dieses ur-japanische Genre des „Animé“ seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1988 definiert hat.

Was den Hintergrund bildet einer Handlung, für die das überstrapazierte Adjektiv „dystopisch“ tatsächlich zutrifft, ist eben die Stadt, ist Tokio vor der erdachten Mega-Explosion wie auch nach dem folgenden Wiederaufbau als „Neo Tokyo“.

Tokyo haftet immer schon das Hyperreale an

Das macht keinen großen Unterschied, denn Tokio haftet in der Sicht der Filmemacher – und nicht nur der Animationsfilmer – immer schon der Charakter des Hyperrealen, des eigentlich noch Bevorstehenden wie des bereits Vergangenen an, ein hybrider Zustand, in dem alles möglich und alles Mögliche auch wahrscheinlich ist.

Die Hintergrundzeichnungen zu „Akira“, also die Stadtszenen, sind jetzt anhand von 59 Originalen im Museum für Architekturzeichnung der Tchoban Foundation zu sehen. Es handelt sich um Bilder auf Papier, von Menschenhand gezeichnet und koloriert; kein Computer bekäme wohl diesen surrealen Touch hin.

Darunter ist als besonders eindrucksvolles Blatt die eingangs beschriebene Szenerie: Während die Kamera scheinbar in die Ferne schweift, fährt sie real die wohl einen Meter hohe, unglaublich detailreiche Zeichnung ab, ohne dass der Zuschauer den Trick erkennt.

Der 124 Minuten dauernde Film arbeitet mit 2200 Einstellungen

Für den Spielfilm von 124 Minuten Länge mussten, nimmt man alle Vor- und Zwischenstadien hinzu, rund 120 000 Zeichnungen gefertigt werden, die sich im Verlauf auf 2200 Einstellungen verteilen. Bisweilen müssen mehrere Hintergründe übereinander gelegt werden, um räumliche Tiefe zu erzeugen; und im Vordergrund sind dann, auf Folie gezeichnet, die Bewegtbilder der handelnden Figuren angebracht, etwa wie sie auf ihren Fahrzeugen durch die nachtdunkle und zugleich neonhelle Stadt jagen.

Wie eine solche komplizierte Anordnung beschaffen ist, wird an einem Kasten in der Ausstellung deutlich, in den mehrere Hintergründe eingespannt sind, die vor dem letzten liegenden ausgeschnitten und auf transparente Folie montiert. Die eigentliche Handlungsfigur fehlt: Aus urheberrechtlichen Gründen sind im Museum am Pfefferberg keine der Personen und somit keine Handlungsfolgen zu finden. Aber um die geht es hier auch nicht, sondern um das spezifische Bild der Stadt.

Ausgangspunkt für den Film waren die Visionen japanischer Architekten

Das verdankt sich nämlich in einem bemerkenswerten Maße den Visionen, die die japanische Architektur hervorgebracht hat. Von zentraler Bedeutung ist Kenzo Tange, der Architekt des Olympiastadions von 1964 und angrenzender Bauten, in denen sich erstmals das moderne Nachkriegs-Japan verkörpert fand. Tange hatte noch vor den Olympiabauten den Plan einer „strukturellen Reorganisation“ für Tokio vorgelegt, der die Stadt – die moderne Stadt, heißt das – auf künstlichen Inseln in der Meeresbucht errichten wollte, frei von den Beschränkungen der überkommenen Struktur.

Später entwarf Tange das Verwaltungsgebäude der Präfektur Tokio, mit 243 Metern Höhe lange Zeit der Rekordhalter Japans – und während der Drehzeit von „Akira“ im Bau. Tanges Hochhaus steht selbstverständlich in Shinjuku.

Rund 20 Zeichner arbeiteten an den Hintergrundbildern

Ausstellungskurator Stefan Riekeles, der sich seit Jahren dem japanischen Animationsfilm widmet, hat die Zeichnungen bei ihren Urhebern ausleihen können – allen voran Toshiharu Mizutani als Art Director des Films und Hiroshi Ono als einer seiner wichtigsten Zeichner. Insgesamt waren um die 20 Zeichner mit den Hintergrundbildern beschäftigt.

Nach der Fertigstellung waren die Zeichnungen für die Produktionsfirma nichts weiter als ein Berg von Altpapier; die Zeichner durften sich daraus bedienen, das meiste wurde schlichtweg vernichtet. Einer VHS-Ausgabe des Films „Akira“ wurde je Exemplar eine Zeichnung als Authentizitätsnachweis beigelegt; heute natürlich eine Rarität und von Animé-Fans gesucht.

[Museum für Architekturzeichnung, Christinenstr. 18 A (Pfefferberg), bis 4. September, Mo-Fr 14-19, Sa/So So 13-17 Uhr]

„Neo Tokyo“ entsteht im Film in der Bucht, wie Architekt Tange es vorausgeplant hatte. Eine merkwürdige Fügung wollte es, dass der im Film erdachte Zeitpunkt erneuter Olympischer Spiele in Tokio für das Jahr 2020 tatsächlich zutraf. Dabei wurden die Spiele erst 2013 vergeben. Am Ende des Films wird auch „Neo Tokyo“ zerstört.

Die Faszination der Architektur der Zukunft geht einher mit der Erwartung ihres Untergangs. Immerhin bleiben Zeichnungen von eigentümlicher, alle Wirklichkeit übertreffender Schönheit.

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