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Ausstellung im Tieranatomischen Theater: Siebdruck mit Rinderbandwurm

Sieben Künstler verschmelzen im Tieranatomischen Theater der Humboldt-Universität Wissenschaft mit Kunst. Das Ergebnis: Viel mehr als nur eine tolle Kulisse. Am heutigen Dienstag Abend ist Eröffnung.

Von geschwungenen Sitzbankreihen haben hier vor 80 Jahren noch Studenten auf den Seziertisch in der Mitte des Saales geblickt und zugesehen, wie Tierkadaver säuberlich auseinandergenommen werden. Heute ist der Hörsaal des Tieranatomischen Theaters der HU Berlin – des ältesten noch existierenden Lehrgebäudes der Stadt – sauber, frisch gestrichen, fast steril.

So steril, wie er früher nie war. Deshalb hat der Architekt des Theaters, Carl Gotthard Langhans, die Bibliothek und Leseräume getrennt vom Hörsaal geplant, um dem Schmutz und den Eingeweiden zu entgehen. Der Seziertisch etwa ließ sich durch ein Bodenloch im Hörsaal in den Kellerraum absenken. Heute steht dort Wolf von Kries – einer von sieben Künstlern der neuen Ausstellung im Tieranatomischen Theater.

„On the Edge“ heißt sie; von Kries stellt unter anderem eine Videoarbeit aus. Sie zeigt Porträts von wissenschaftlichen Sammlungen und Arbeitsräumen, gefilmt an der HU – in der Zoologie, Anatomie, Kristallografie. „Ich will die Atmosphäre einer Sammlung einfangen“, erklärt er, „sie sollen ganzheitlich betrachtet werden, nicht nur als Einzelstücke.“

Wissenschaft und Kunst im Dialog

„On the Edge“ soll den Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst herstellen. Einzelne Exponate werden mit neuen Arbeiten verflochten. In einem weiteren Stück ordnet von Kries etwa Steine scheinbar systematisch an, in historischen Vitrinen. Die Anordnung ist aber willkürlich; die Steine wertlos: Sein Vater hat sie im Laufe seines Lebens gesammelt. „Die Wertschöpfung entsteht auf persönlicher Ebene“, sagt er. „Das Sammeln selbst, ein Urinstinkt des Menschen, erschafft den Wert.“

Die Sammlung an sich – als Kunstwerk oder eines Teils davon – zieht sich durch die Ausstellung. Künstlerin Andrea Roe etwa hat einen Protagonisten aus der Zoologie ausgewählt: einen sechs Meter langen Rinderbandwurm, der im 19. Jahrhundert aus einem menschlichen Darm entfernt wurde. Das Originalstück ist in einem flaschengroßen Behältnis in Salzlake aufbewahrt. Die eigentliche Größe des Wurms wird sichtbar auf zwei großen Samt-Siebdrucken, auf dem Roe den Bandwurm in Originalgröße gedruckt hat. Seine Textur ist in Edelstahl gegossen daneben als Armreif zu sehen. Roe ist fasziniert von Bandwürmern: „Bis zu 25 Jahre können die Würmer in einem menschlichen Organismus überleben. Das ist länger als die meisten menschlichen Beziehungen.“

Kosmos aus wissenschaftlicher Botanik

Den Bandwurm-Raum verlassend sieht man auf der anderen Seite der historischen Hörsaals bereits etwas, was wie ein Mini-Garten wirkt oder wie ein begrünter Balkon. In Agnes Meyer-Brandis’ Werk gibt es aber viel mehr zu entdecken, es ist eines der Highlights der Ausstellung. Die studierte Mineralogin eröffnet in ihrer Installation einen ganzen Kosmos aus wissenschaftlicher Botanik, persönlich-willkürlichen Ordnungen und surrealer Industriemechanik. Akkurat beschriftete Leihgaben aus dem Späth-Arboretum in Zepernick stehen auf einem Tisch, diverse Ursuppen mit Bakterien-Algen-Gemischen; Versuchsmodelle mit auf- und abfahrenden Teetassen, die sich selbst durch Absorption von Wolkenfeuchtigkeit brauen, oder eine Zentrifuge, in der beobachtet wird, wie Löwenzahn in Schwerelosigkeit wächst.

Neben komplizierten Versuchsbeschreibungen steht auf den Beschriftungen einiger der merkwürdigeren Objekte: „Pflanzen, die wie Steine aussehen“, „Steine, die wie Holz aussehen“ oder „Tiere, die wie Pflanzen aussehen“. „Das hier ist subjektive Wissenschaft“, sagt die Künstlerin, „zum Beispiel das Konzept der Pflanzenmigration.“ Auf einer Infotafel notiert sie Migrationsbewegungen von Pflanzen, die wegen des Klimawandels Berge hochwandern auf der Suche nach Kühle. Dazwischen Videos, Erläuterungen, Aufnahmen von Exkursionen. „Die Anmutung ist wissenschaftlich, die Anordnung meine“, sagt Meyer-Brandis.

Ein Rinderbandwurm ist eine Zusammenarbeit von Mensch und Tier

Die Grenze zwischen Fiktion und Technologie zieht sich durch ihr Werk: In einem Projekt mit der Raumfahrtagentur DLR nahm sie an einem Parabelflug teil, untersuchte „Wolkenkerne“. In „On the Edge“ spiegelt sich die Atmosphäre des Lehrgebäudes in den Exponaten wider.

Andrea Roe, die den Bandwurm ins Zentrum ihres Werkes gestellt hat, sagt: „Er wird als lebloses Objekt wahrgenommen.“ Gleichzeitig sei er das Produkt einer „Zusammenarbeit“ von Mensch und Tier: „Dieser Bandwurm kann nur als Larve in einem Rind wachsen. Menschen nehmen ihn auf, die Larve schlüpft und bleibt jahrelang im menschlichen Körper.“ Wie das passieren kann? Schlechte medizinische Fleischbeschau. Eine veterinärische Grundkenntnis, wie sie jahrhundertelang im Hörsaal des Tieranatomischen Theaters gelehrt wurde.

- Eröffnung am 3. Juni um 19 Uhr, danach bis 13. September, Tieranatomisches Theater der HU Berlin, Philippstraße 12, Di-Sa 14-18 Uhr, Eintritt frei

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