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Parapsychologie. Nüsslein fertigte sechs verschiedene Porträts seiner Auftraggeberin an. Die Landschaften gehören dazu.

© Roman März; Courtesy Galerie Guido W. Baudach

Ausstellung in Charlottenburg: Heinrich Nüsslein, Maler des Übersinnlichen

Esoterisches Nirwana: Die Charlottenburger Galerie Guido W. Baudach präsentiert eine „Karmaschau“ des vergessenen Künstlers Heinrich Nüsslein.

Als der „Spiegel“ im Februar 1949 über die „Malerei aus dem Dunkel“ schrieb, war man eigentlich schon zu spät dran. Heinrich Nüsslein war nämlich bereits 1947 verstorben. So blieb dem Nachrichtenmagazin nur, von dessen Sohn zu erzählen und davon, wie der versuchte, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, „weil ihn inwendig etwas dazu trieb“. Wie zuvor schon den Vater, den „medialen“ Maler Heinrich Nüsslein (1879-1947).

Mediale Malerei ist keine Medienkunst. Sie erscheint heute obskur. Offenbar tat sie es auch schon damals, der Rezensent im „Spiegel“ ist jedenfalls voller Skepsis. Das ist insofern bemerkenswert, als dies ja, kunsthistorisch gesehen, die Hochzeit von Informel und abstraktem Expressionismus war – von maximal inspirierter Malerei. Über deren Gestus sich zwanzig Jahre später der auch längst verstorbene Sigmar Polke amüsieren sollte mit seinem Gemälde: „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“

Galerist Baudach hält eigentlich nicht viel von „medialer“ Kunst

Daran knüpft nun Galerist Guido W. Baudach an, wenn er anno 2019 seine Nüsslein-Ausstellung betitelt: „Wo höhere Wesen befahlen, … Heinrich Nüsslein & Friends“. Er will wohl klarstellen, was er als Galerist der Gegenwart von „medialer“ Kunst hält. Deren Entstehungsmythos irgendwo im esoterischen Nirwana sieht er skeptisch. Nur, und das ist der Unterschied, seinen Respekt schmälert das nicht.

Ihn begeistert der Umstand, dass da ein Maler von bestimmten intuitiven Formen und Setzungen ausgeht, wie er das bei einigen der Galerie verbundenen Künstlern wiedererkennt. Die „Friends“, die Maler Gotcha Gozalishvili, Thomas Helbig, Andy Hope, Erwin Kneihsel, Markus Selg und Thomas Zipp, hängen in einem zweiten Raum – ein Zuviel an dialogischem Aufwand bleibt dem Besucher erspart. Er kann sich erst einmal ganz in Nüsslein vertiefen, in dessen Bild- und Gedankenwelt. Baudach nimmt sich die Freiheit, von Nüsslein verfasste Texte, Briefe an seine Auftraggeber etwa, gerahmt und gleichrangig neben die Porträts und Landschaftsbilder zu hängen – die für Nüsslein zusammengehörten.

Es ist keine allzu große Bildungslücke, von Nüsslein noch nie gehört zu haben. Heute vor allem ein Artist's Artist (etwa für Arnulf Rainer), war sein bescheidener Ruhm zu Lebzeiten auf die spiritistischen Zirkel beschränkt, in denen er verkehrte. Baudach nennt ihn einen „Außenseiterkünstler“. Man kann über den empfundenen höheren Auftrag heute die Augen rollen – aber vollkommen naiv und antiakademisch war Nüsslein eben auch nicht. Theosophie, Anthroposophie, Astrologie, Monte Verità … Spiritualität war zu Zeiten Nüssleins nicht so schlecht beleumundet wie heute. „Maler und Schriftsteller des Übersinnlichen“, nannte er sich selbst.

Das Werk war für die Galerie ein Trödelfund

Nüsslein trug vorangegangene Inkarnationen seiner Modelle und Auftraggeber mit der von ihm selbst entwickelten Technik, stark verdünnte Farbe mit Tüchern, Stoffknäueln, Wattebauschen, Fingern, ohne jemals zum Pinsel zu greifen, oft vor Publikum auf Lackpapier oder Pappe auf und ließ sie mit den Mitteln von Performance und Malerei durch Zeit und Raum reisen. Das gesamte, nicht ganz, aber doch fast vollständige, von Nüsslein im Zeitraum von September 1938 bist November 1939 für eine gewisse Anna Staudinger aus Berlin-Adlershof gemalte Konvolut der Ausstellung wurde im vergangenen Jahr auf dem Trödelmarkt an der Straße des 17. Juni entdeckt und erworben. Baudach veräußert es in Kommission nur als Ganzes zum Preis von 25 000 Euro. So kommen als Käufer vor allem Sammlungen und Museen in Betracht. (Alle anderen mögen sich an die „Friends“ halten.)

Insgesamt fertigte Nüsslein je sieben Porträts und Landschaften für seine Berliner Auftraggeberin an, von denen jeweils sechs sich zu einer sogenannten „Karmaschau“ fügen sollten. Die Bilder zeigen Anna Staudinger in sechs Inkarnationen nebst ihren früheren Wirkungsstätten: als Priesterin eines Sonnenkults im alten Mexiko zum Beispiel, als Sportlehrerin im „Reiche der Lemuren“, als Baumeister (es ist eine männliche Inkarnation – hatten die höheren Wesen einen Sinn für Diversität?) im fünften Jahrtausend v. Chr..

Baudach mutmaßt, dass er hier die einzige weitgehend erhaltene „Karmaschau“ Nüssleins überhaupt zeigt. Er macht sich seinen eigenen – psychologischen – Reim auf Nüssleins spirituelle Erweckung. Der habe so – mehr oder weniger bewusst, unbewusst, autosuggestiv – Mittel und Wege gefunden, seine eigentlich schon gescheiterte Malerkarriere doch noch zu machen. Durch sein Selbstverständnis als Medium mit ausgeschaltetem Ego konnte er seine Einschränkungen als USP, Unique Selling Proposition, verkaufen, wie man heute so schön sagt, einen Begriff aus dem Marketing bemühend. Kann gut sein, dass die Menschen in 80 Jahren Marketing genauso obskur finden wie wir heute Okkultismus und Parapsychologie. Und dass da in 60 Jahren ein Journalist feststellt, dass der letzte Artikel über Nüsslein 2019 im Berliner „Tagesspiegel“ stand … Kann auch sein, dass die Befassung mit Nüsslein die Phantasie beflügelt.

Galerie Guido W. Baudach, Potsdamer Str. 85., bis 13.4., Di - Sa 11 - 18 Uhr

Jens Müller

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