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Blick ins Innere der Ausstellung. Im Hintergrund das "Selbstporträt des Künstlers mit seiner Tochter Antonia" von Georg Desmarées.

© dpa

Ausstellung in China: Die große Störung

Es ist die größte Kunstausstellung, die Deutschland je im Ausland gezeigt hat - im größten Museum der Welt. Spektakel und Debakel: Die deutsche Ausstellung "Kunst der Aufklärung" im wiedereröffneten Pekinger Nationalmuseum.

Wer nicht bereits informiert war, der musste am Donnerstagabend bei der Pressekonferenz zur Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" im Pekinger Chinesischen Nationalmuseum denken, da sei im fernen Deutschland ein irgendwie bedeutender Intellektueller kurzfristig erkrankt. Jedenfalls klingen die Grüße in die Heimat wie Genesungswünsche, die Martin Roth, Direktor der bei dem "Aufkärungs"-Projekt federführenden Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, an "unseren Freund Tilman Spengler" übermittelt. Ebenso wie seine Kollegen Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, und Bernhard Schrenk, Chef der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, bedauert Roth, dass Spengler "heute nicht anwesend" sein könne.

Im Übrigen ist man, zusammen mit Lü Zhangshen, dem Generaldirektor des Nationalmuseums, nur "stolz und glücklich". Ist die Gemeinschaftsausstellung der drei großen Museen aus Berlin, Dresden und München doch "die größte Kunstausstellung, die Deutschland je im Ausland gezeigt hat" - im größten Museum der Welt. Erst als nach einer Stunde eine deutsche TV-Journalistin den Namen des zu elf Jahren Gefängnis verurteilten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo ins Spiel bringt und erwähnt, dass dem Münchner Schriftsteller, Sinologen und Berater des Rahmenprogramms zur Pekinger Ausstellung Tilman Spengler das Einreisevisum verweigert worden sei, reißt der Vorhang des Nebulösen, der lauthals leisetretenden Verunklärung.

Roth sagt, Spengler stehe "für den notwendigen Dialog mit China als Beispiel" und betont, dass der Autor selber - wie gestern auch im Gespräch mit dem Tagesspiegel - die Eröffnung und Fortsetzung der Ausstellung für richtig hält. Ein chinesischer Sprecher meinte als Vertreter des vom Podium ("wegen eines anderen Termins") verschwundenen Nationalmuseums-Direktors, China sei "sehr gastfreundlich". Der Fall habe "nichts mit dieser Ausstellung zu tun". Der Sprecher lächelt gereizt: Viel wichtiger sei doch, dass Außenminister Westerwelle die Ausstellung eröffnet. Im Übrigen habe Herr Spengler "das chinesische Volk verletzt", was sich, unausgesprochen, wohl auf dessen frühere Verteidigung des inhaftierten Nobelpreisträgers Liu Xiaobo bezieht. Als dann eine Nachfrage an den Museumsexperten der KP Chinas gestellt wurde, wird die Pressekonferenz für beendet erklärt.

Die Ausstellung und ihre Veranstalter sitzen in der Falle. In einer goldenen Falle. "Hätten wir wegen Spengler alles absagen sollen?", fragen Roth und Parzinger. Also zeigen die drei deutschen Großsammlungen nach jahrelanger Vorbereitung ab diesem Wochenende bis März 2012 im wiedereröffneten Chinesischen Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens "Die Kunst der Aufklärung". Rund zehn Millionen Euro hat die vom Auswärtigen Amt unterstützte Schau gekostet; hinzu kommen Sponsoren, vor allem die nordrhein-westfälische Stiftung Mercator, die 1,5 Millionen Euro in das Begleitprogramm "Aufklärung im Dialog" investiert: Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler aus Deutschland und China sollen in Foren und "Salons" über Höhen und Hürden des galoppierenden Weltgeists diskutieren. Neben dem Sinologen Michael Lackner und dem Berliner Geisteswissenschaftler Wolf Lepenies galt vor allem Spengler als Kopf dieses nun von vornherein gestörten "Dialogs". Auch Chinas bekanntester Gegenwartskünstler Ai Weiwei stand auf der Wunschliste der Deutschen. Er wurde von Seiten Chinas abgelehnt. Stattdessen bezieht Ai Weiwei nun demnächst ein Exil-Atelier in Berlin.

Die deutsche Botschaft und das Goethe-Institut hatten zudem mit einem Besuch von Anselm Kiefer und Neo Rauch gerechnet. Rauch ist in der letzten Sektion der "Kunst der Aufklärung", die einen Sprung von der dominierenden kulturhistorischen Epoche des 17. bis19. Jahrhunderts in die Gegenwart macht, mit seinem surrealen Riesengemälde "Die große Störung" vertreten. Doch haben Kiefer und Rauch ihre Reise nach China kurzfristig abgesagt. Womöglich wussten sie bereits von den Schwierigkeiten mit Spengler, die von den Veranstaltern in Peking wie eine Überraschung behandelt wurde, obwohl sie der deutschen Botschaft wohl seit Wochen bekannt war.

Das Vertrackte, eine "Aufklärungs"-Schau ausgerechnet an jenem von tausend Kameras, Polizei und unzähligen Geheimdienstlern in Zivil überwachten Tiananmen-Platz zu präsentieren, auf dem 1989 die chinesische Demokratiebewegung niedergeschlagen wurde, erweist sich so gleich am Anfang. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat am Freitagabend die Ausstellung, die unter der Schirmherrschaft auch der beiden Präsidenten sowie der beiden Regierungschefs Wen Jibao und Angela Merkel steht, mit einer guten, diplomatischen Rede eröffnet ("Kunst allein im Dienst der Macht ist Propaganda"). Aber die Nagelprobe steht Westerwelle erst an diesem Samstagnachmittag bevor, wenn er als Teilnehmer des ersten Symposions der Reihe "Aufklärung im Dialog" vor seiner Weiterreise nach Japan nochmals im Nationalmuseum auftritt. Spätestens dort wird auch er Stellung nehmen müssen zur Visums-Verweigerung für Spengler, der als China-Experte zu Westerwelles Delegation gehören sollte. Die Ausstellung, um die es eigentlich geht, ist freilich keine "große Störung", sondern besticht durch gediegene Biederkeit, versetzt mit einigen Solitären, Gemälden von Watteau oder Caspar David Friedrich. Das erweiterte, monumentale Nationalmuseum betritt man nun durch eine vom deutschen Architekturteam Gerkan, Marg und Partner mit Marmor, Stein und himmelhohem Deckenlicht in überwiegendem Hellgrau wie ein Airport-Entree gestaltete, fast 300 Meter lange Querhalle. Die deutsche Ausstellung ist durchaus prominent in der Mitte des Obergeschosses platziert.

Obwohl die "Kunst der Aufklärung" von den 200.000 Quadratmetern des Museums, in das der gesagte Louvre dreimal hineinpassen würde, nur 2700 Quadratmeter bespielt, wirkt der schon in der Eingangshalle mit gewaltigen Lettern auf Chinesisch und Deutsch verkündete Auftritt imposant. Und man ahnt, warum sich die prominentesten Museen der Welt um eine solche Präsentation in der Mitte der neuen Weltmacht gerissen haben.

Die Deutschen nutzen ihren Vortritt, indem sie gleich im Foyer zwischen den Gipsköpfen von Kant, Schiller und Humboldt das Porträt der jungen Berliner Bürgerdame Heinrike Dannecker als Riesenposter aufziehen: Christian Gottlieb Schick hat sie 1802 in den Farben der Trikolore und mit einer koketten roten Jakobinermütze im Nachhall der Französischen Revolution gemalt. Museumsdirektor Lü Zhangshen erklärt das Werk etwas überraschend zum "berühmtesten Gemälde der europäischen Aufklärung".

Im ersten der in vornehm gedämpftes Halblicht getauchten Säle fällt der Blick zuerst auf ein Selbstbildnis des Malers Georg Desmarées (um 1760), womit als Momentum der Aufklärung auch die Autonomie des (bürgerlichen) Künstlers behauptet wird. Am Ende, nach knapp 600 Objekten - neben Gemälden und Skulpturen auch Kleider, Möbel, wissenschaftliche Geräte und Kuriositäten der Epoche - korrespondiert der Themenraum "Die Revolution der Kunst" mit dem Anfang das Selbstporträt eines Andy Warhol oder Joseph Beuys.

Solche Schlüssigkeit findet sich sonst nur selten. Der Raum "Die Geburt der Geschichte" ist ein bildschönes Kabinett antiker Skulpturen, mit Aphrodite, Eros und Apoll - allesamt mythische Figuren, keine geschichtlichen. Eine begriffsunscharfe Anspielung auf die Renaissance: Man hätte hier allenfalls von der "Geburt der Kunstgeschichte" sprechen können (zumal das Bild des autonomen Künstlers in der Renaissance geboren wurde).

Zeigt man etwa ein Porträt Friedrich des Großen, dann fehlt der anschauliche Bezug zum Musischen und vor allem die Beziehung des Königs zum Aufklärer Voltaire. Und wenn im Raum "Zurück zur Natur" neben Caspar David Friedrichs Wald- und Elblandschaften ein grandioser Schiffbruch sowie ein Hafenbrand von Claude-Joseph Vernet hängen, dann wird die in der Philosophie bis in die Moderne angelegte Metapher vom "Schiffbruch mit Zuschauer" völlig verschenkt.

Es gibt, durchs Foyer getrennt, keinen schlüssigen Übergang vom Katastrophischen und der (ebenfalls unerwähnten) "Dialektik der Aufklärung" zum Thema "Nachtseiten". Etwas willkürlich sind da bürgerliche Karikaturen, Genreszenen à la Hogarth, Goyas Caprichos zu den Schrecken des Krieges und sein ungeheurer "Schlaf der Vernunft" (nur im Katalog vorhanden!) aneinandergereiht. Und auch hier werden, wie im Kapitel "Emanzipation und Öffentlichkeit", jegliche Verknüpfungen zur Gegenwart und zum medialen Wandel der einst aufgeklärten elitär-egalitären Öffentlichkeit ausgespart. Auch der Kampf der Aufklärung gegen die Zensur kommt nicht vor.

Bei der "Revolution der Kunst" fehlt gerade angesichts von Neo Rauch, Beuys oder Baselitz jede Verbindung zum Expressionismus oder zur Kunstrevolution des Surrealismus. Kein Grosz, Beckmann, Max Ernst oder evident Zeitkritisches, auch kein Brecht (der prominenteste künstlerische Aufklärer der deutschen Neuzeit). Es gibt immer nur vage Halbkategorien des Ästhetischen, nie des Philosophisch-Politischen. Ja selbst der chinesische Aufklärer Konfuzius oder die Herren Marx und Engels fehlen.

Und, wenn schon Warhols Pop-Porträt, warum dann nicht sein in Berlin hängender "Mao"? Gegenüber dem Mausoleum des großen Chinesen wäre das ein Zeichen jenes Witzes gewesen, der auch zur Aufklärung gehörte. In der Pekinger Schau bleibt er unerfindlich.

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