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Zeitsprünge. Darrel Ellis bediente sich für seine Fotoarbeiten alter Aufnahmen aus den 1950er Jahren.

© Darrel Ellis, Copyright: Galerie Crone & Osmos

Ausstellung in der Galerie Crone: Die Idylle der 50er Jahre transformiert in brutale Gegenwart

Späte Wiederentdeckung: Zum ersten Mal erhält der afroamerikanischen Fotokünstler Darrel Ellis eine Soloschau in Deutschland.

Uncle Donny isst Torte. Könnte auch Pfeife rauchen. Und überhaupt, auf der Fotografie vermutet man ihn nicht im Harlem der 1950er Jahre, sondern in einem labyrinthischen Gewebe aus züngelnden Flammen, Nervenbahnen und Kleidern wie aus Stein gemeißelt. 1987 hat Darrel Ellis das 30 Jahre zuvor entstandene Foto collagiert und übermalt. Es war einer der Schnappschüsse, mit denen sein Vater die Black Community porträtiert hatte. Der in den 1970er Jahren an der Cooper Union in New York ausgebildete Künstler verwandelte sie mit komplexen Projektionen, skulpturalen und Sampling-Elementen zu einer sehr eigenen künstlerischen Fotografie.

Ellis, der 1992 mit 34 Jahren starb, schuf multimediale Kunst mit analogen Methoden. Die Negative warf er mit Overheadprojektoren an die Wand und auf reliefartige Gipsformen, lichtete dann die Projektionen ab, schichtete Fotografien eines Motivs in- und übereinander, komponierte Risse und Schnitte, Rechtecke und Löcher mit lichttechnischen Verfahren.

Verfremdungseffekt: Risse gehen durch das Bild

Rätselhaft verfremdet erscheint durch diese Technik auch die Fotografie einer Frau mit heller Bluse und dunkel gemustertem Rock. Arme und Hände hält sie wie eine Tempeltänzerin, ihr Körper und die Kleider bilden kantige Laibungen und Stufen. Der Raum wird eins mit der Figur. Zugleich gehen Risse durch das Bild. Das Lächeln ist separiert, Augen- und Nasenpartie sind wie von einem Balken durchtrennt, Kopf und Gliedmaßen kubistisch fragmentiert.

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Ellis lässt auf diese Weise den Raum vor- und zurückspringen. Er unterhöhlt sämtliche Gesetze der Perspektive – wie es im Jahrzehnt zuvor Gordon Matta-Clark mit den architektonischen Dekonstruktionen seiner Cuttings vollzogen hatte. Nur ging Ellis nicht mit der Säge direkt am Objekt vor wie Gordon Matta-Clark.

Die Bilder sind schroff und doch voller Empathie

Dennoch ist der erste Eindruck seiner Bilder schroff, destruktiv und verstörend: Die Gesichter werden verdeckt von geometrischen Formen, die an leere Protestschilder erinnern, Körper erscheinen durchtrennt und zerklüftet. Zugleich vermittelt die Ausstellung in der Galerie Crone eine sensible, reflektierte Künstlerpersönlichkeit – nicht zuletzt in den subtilen Zeichnungen und Gouachen, die gesellschaftliche Missstände mit großer Empathie und Experimentierfreude visualisiert.

In seinen Bildern spiegelt sich der Rassismus

Ellis transformiert die scheinbare 50er-Jahre-Idylle des Vaters in seine eigene Realität der 1980er. Er konterkariert sie mit Metaphern, in denen sich die Folgen des Rassismus spiegeln, der bis in unsere Gegenwart reicht. Ellis’ eigene Biografie hat er auf tragische Weise geprägt: 1958, einen Monat vor seiner Geburt, wurde der Vater bei einer Polizeikontrolle ermordet.

Das vom Vater vorgefundene Bildmaterial diente dem Künstler als Mittel zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und der Black Community, ebenso mit dem Wandel von Familie im gesellschaftlichen Kontext. Dieses Thema beschäftigte amerikanische Künstler in den 1980er Jahren intensiv. Das Ende dieser Auseinandersetzung markierte die 1991 von Peter Galassi im Museum of Modern Art kuratierte Fotoausstellung „Pleasures and Terrors of Domestic Comfort“, an der Ellis noch nicht teilnahm. Er war im MoMA bislang nur als Ausstellungsaufsicht vertreten, wie ein gezeichnetes Selbstporträt verrät. Das sollte sich ein Jahr später ändern.

Auf Mapplethorpes coole Ästhetik reagierte er mit einem Selbstporträt

Die Karriere des jungen Künstlers hatte vielversprechend gestartet. Gleich nach dem Studium erhielt er Stipendien für das PS1 und später für das Whitney Independent Study Program, er bewegte sich in den Kreisen um Robert Mapplethorpe und war 1989 in der Ausstellung „Witnesses: Against Our Vanishing“ vertreten, mit der Nan Goldin als Kuratorin ein Zeichen im Kampf gegen Aids setzen wollte.

Die Schau wurde zum Politikum. Das konservative, homophobe Amerika lief Sturm, öffentliche Fördergelder wurden zurückgezogen. In der Berichterstattung über die Ausstellung wurde vielfach Ellis’ Zeichnung „Selbstbildnis nach einer Fotografie von Robert Mapplethorpe“ abgebildet. Im Katalog berichtete Ellis, dass er mit dessen Porträts zu kämpfen hatte, sie als zu eisig empfand. Die Zeichnung ist als selbstbewusste Erwiderung zur coolen Ästhetik Mapplethorpes zu verstehen. Auch das gehörte zur Suche nach Identität.

Kurz vor der Ausstellung im Museum of Modern Art verstarb Ellis

Seinen ersten Auftritt als Künstler im Museum of Modern Art 1992 im Rahmen der Ausstellung „New Photography 8“ erlebte Darrel Ellis nicht mehr. Mit nur 33 Jahren war er sechs Monate vor Eröffnung an den Folgen der Immunschwächekrankheit Aids verstorben. Danach geriet er in Vergessenheit, bis ihm im vergangenen Jahr die New Yorker Galerie Osmos eine erste umfassende Präsentation nach über 20 Jahren ausrichtete.

[Galerie Crone, Fasanenstraße 29; bis 29. August, Dienstag–Samstag 12–18 Uhr. www.galeriecrone.com]

In Deutschland widmet ihm die Galerie Crone die erste Einzelausstellung überhaupt. Bleibt zu hoffen, dass seine intensive, beeindruckende Kunst nicht nur im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung Beachtung findet und die Wiederentdeckung seiner Werke nachhaltige Wirkung zeigt (Preise 6000-18 000 Euro).

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