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"No, this side" von Wura-Natasha Ogunji, 2011/2017.

© Victoria Tomaschko

Ausstellung in der ifa-Galerie: Stiche ins Herz

Verborgene Verletzungen: Wura-Natasha Ogunjis Nähbilder in der ifa-Galerie vereinen feministische Theorie und Sinnlichkeit.

Auf den zweiten Blick lässt sich in der neuen Ausstellung der ifa-Galerie Außerordentliches erkennen, der erste kann enttäuschen. Die Schau zeigt zurückhaltende Bilder: vielleicht Zeichnungen, vielleicht Collagen auf halb transparentem Papier, das ist von fern nicht genau zu erkennen. In die eine Wand sind vier kleine Videomonitore eingelassen, und hinten hängt – wie eine überdimensionierte Perücke aus gefärbten Haaren – ein buntes Gespinst von der Decke. Wura-Natasha Ogunji bestreitet den dritten Teil der Langzeitreihe „Untie to tie“ („entknoten, um zu verbinden“) zu Folgen der Kolonialzeit. Ihre Schau handelt von verborgenen Verletzungen: „Every Mask I Ever Loved“ heißt sie, „Jede Maske, die ich je geliebt habe“, und wirkt im Vergleich zu den vorherigen Ausstellungen zunächst blass.

Mit einer Installation aus Stacheldraht, Masken und Pfählen hatte Pascale Marthine Tayou im Frühjahr den Auftakt gemacht. Es folgten Irene de Andrés und Sofía Gallisá Muriente, die in Klang und Bild den Status von Puerto Rico als US-Bundesstaat zweiter Klasse inszenierten. Jetzt hat die Gastkuratorin Eva Barois De Caevel die in den USA geborene und in Nigeria lebende Künstlerin Wura-Natasha Ogunji eingeladen. Als Stichwort diente dabei der „intersektionale Feminismus“, der beim Einsatz für Frauenrechte auch Faktoren wie Klasse, Herkunft und Religion berücksichtigen soll. Das ist viel Theorie, und doch entpuppt sich Ogunjis Ausstellung als sehr sinnlich.

Garn als Leitfaden

Bei den Bildern handelt es sich um Zeichnungen mit Nähzubehör. Mal hat Ogunji mit einem Rändelrad gepunktete Linien schnurgerade auf dunkel gestrichenes Papier gestanzt. Mal hat sie mit feinsten Stichen Frauenkörper in unterschiedlichsten Stellungen und Lagen umrissen, ein anderes Mal nur einen Arm oder einen Fuß. Knoten betonen Fingernägel und Knöchel. Knäuel bunten Garns scheinen Augen auslaufen und Blut aus dem Hals treten zu lassen. Die Frauenakte, die hier wie auf Bildern aus der europäischen Kunstgeschichte herumliegen, müssen gemarterte Wesen sein.

Das Garn erweist sich buchstäblich als Leitfaden. Ogunji legt sich in den Videos Knäuel aus Fäden wie Masken über das Gesicht. Folgt die Kamera ihrem Blick, erscheint der blaue Himmel wie hinter einem Gitter. Die stärksten Assoziationen lösen die Relikte der Performances aus, die Ogunji hier Ende September mit zwölf Teilnehmenden aufgeführt hat: in einer Ecke goldene Reisigbesen in Plastikschüsseln, an einem Pfeiler ein Stück gemusterter, afrikanischer Stoff. Und vor allem das perückenartige Gebilde, das sich als üppiger Strang aus dünnem Nähgarn erweist, in Grün, Gelb, Violett, Orange. Hunderte von Garnrollen müssen das gewesen sein, mit denen Ogunji Frida Kahlos Gemälde „Selbstbildnis mit abgeschnittenem Haar“ plastisch adaptiert hat. Besuchern steht es jedoch frei, anderen Fantasien zu folgen. So könnten die Fäden den Wunsch wecken, sie wie einen Vorhang zuziehen zu dürfen, um eine geschützte Sphäre für die intimen Nähbilder zu schaffen, ein Verlangen, das auch an Virginia Woolfs Essay über die Notwendigkeit von Privaträumen für Frauen denken lässt.

ifa-Galerie, Linienstr. 139/140, Mitte. Bis 14. Januar, Di–So 14–18 Uhr

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