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Helden des Himmlischen. Aleksandra Mir kombiniert ihrer Collage „Astronaut #09-054“ Heilige und Weltraumfahrer.

© NGBK

Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst: Väter verzweifelt gesucht

Der Kreuzberger Kunstverein fahndet nach Vorbildern und findet sie kaum. Die spannende Schau präsentiert 20 verschiedene Positionen.

Wenn es um Väter geht, darf ein Spielgerüst nicht fehlen. Man denkt an Männer in Elternzeit, Prenzlberger am Sandkastenrand. Nun kreist die Gruppenschau „Father Figures Are Hard To Find“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) nicht um Männerbilder, auch wenn konkrete Väter vorkommen wie der 2007 verstorbene Schauspieler Ulrich Mühe in der Filmcollage „Fragen an meinen Vater“ seines Sohnes Konrad. Doch die Vätermetaphern überwiegen.

Przemek Pyszczek etwa beschäftigt sich mit der postsozialistischen Architektur seines Geburtslandes Polen. Seine „Playground Structure“ gehört zu einer Serie gefundener, bunt lackierter Klettergeräte, die er zersägt, verbiegt, aus dem Lot rückt. Auf einem seiner „Facade Paintings“ lösen sich ähnliche Formen noch weiter aus ihrem Verbund: Als Vater Staat verschwunden war, zogen Farbe und Zierwerk in die polnischen Plattenbausiedlungen. Mehr Reform war seither nicht drin. Mangel an Idealismus ist ein europa-, nein weltweites Problem.

Neue Väter, das heißt in der Schau vor allem: Neue Ideale und Rollenmodelle müssen her. Und die sind titelgemäß „schwer zu finden“. Erneut hat die NGBK ein Kuratorenteam jenseits des Kultur-Establishments eingeladen. Einige Ausstellungswände sind mit blauem Jeansstoff bezogen – weil „Dad Jeans“ unlängst als Denim-Trend ausgerufen wurden. Zudem schlug Barack Obamas Kollektion schlabberig-blauer Freizeithosen Klickrekorde in sozialen Netzwerken. Mit der präsidialen Nachfolgefrage erreicht das Vaterthema ohnehin globalpolitische Dimensionen: Macht ein milliardenschwerer Sugar-Daddy (Trump) oder eine potenzielle Matriarchin (Clinton) das Rennen?

Auch in der Kunst hat das Sujet Vaterschwäche Konjunktur. Julian Rosefeldts Videoparcours „Manifesto“ präsentiert im Hamburger Bahnhof die Brandreden von lauter Vätern der Moderne – aus dem Mund einer Frau (bis 10. Juli). Ob Cate Blanchett die Manifeste mit überzeugtem Brustton oder parodistisch serviert: Ihr Spielmaterial stammt vorwiegend aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und meistens von Männern. Heute werden kaum noch Manifeste verfasst; als fühlte sich kein starker Mann (und auch keine Frau) zu Zukunftsprognosen berufen. Andererseits sehen sich die Jungen kaum noch als Zwerge, die auf dem väterlichen Erbe aufbauen: „Auf den Schultern von Giganten“ heißt die aktuelle Schau der Kunsthalle Mainz, die Vorgängerschaft in der Kunst mit postmoderner Ironie betrachtet (bis 22. Mai).

Egal ob Heiligenschein oder Helm - die Bilder gleichen sich

Ähnlich soll in der NGBK sowohl der „patriarchale Kanon der Kunstgeschichte“ (Pressetext) als auch das tradierte Vaterbild hinterfragt werden. Religiöse Skepsis eingeschlossen. Aleksandra Mir verbindet in einer Collage US-Astronauten in silbernen Raumanzügen mit einer christlichen Heiligengruppe. Silber und Gold, Helme und Heiligenscheine – die Bilder gleichen sich, egal ob Gottvater oder die NASA im Himmel das Sagen hat.

Fünf Kuratoren, also mehr, als sich große Kunstbiennalen leisten: Da ist es kein Wunder, wenn sich die Projektgruppe verzettelt. Man mag die Künstlerwahl bei gefragten Namen verstehen, speziell bei der US-Künstlerin und Gender-Aktivistin Juliana Huxtable, einem neuen Stern am Kunsthimmel. Ihre an Sakralkitsch geschulten Selbststilisierungen sind zudem sehr ausdrucksstark. Aber lassen sie sich auf den Vaterbegriff bringen? Nur mit Mühe. Zugleich hat manche Unschärfe in der Präsentation mit queerer Verweigerung von Konventionen zu tun. Nach dem Motto: Wenn dein Vater nichts taugt, suchst du dir einen neuen. Männlich, weiblich, egal. Kann tot sein. Oder erfunden. Und doch imponiert die Werkauswahl der über 20 Positionen. Darunter gibt es Entdeckungen wie die inszenierte Fotografie des Nigerianers Rotimi Fani-Kayode (1955 bis 1989). Dessen homoerotische Darstellungen nehmen es mit den berühmten Bildern Robert Mapplethorpes auf. Ähnlich gewagt ist auch Antje Prusts Installation aus Matratze und Laptop mit dem Titel „D.I.L.F“, die an eine private Porno-Ecke denken lässt. „Dads I’d Like to Fuck“ zählt denn auch zu mehreren Erklärungsangeboten der Künstlerin für die Titelabkürzung: C. G. Jung würde auf einen Elektra-Komplex tippen.

Papa wird gebraucht. „02.02.1861“ ist der Titel und zugleich das Datum eines Briefes, den der aus Vietnam stammende, in Kopenhagen aufgewachsene Starkünstler Danh Vo wohl an die 500 Mal abschreiben ließ. Beim Original handelt es sich um die Abschiedszeilen eines französischen Missionars: Théophane Vénard schrieb seinem Vater, bevor er 1861 in Indochina hingerichtet wurde. 1988 wurde der Märtyrer heiliggesprochen. Der Mann, der im Auftrag Vos die historischen Worte immer wieder handschriftlich kopiert (ohne lateinische Lettern lesen zu können) ist zugleich derjenige, der den Käufern die Multiples per Post nach Hause schickt: Danh Vos eigener Vater.

Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstr. 25, bis 30. April, Mo bis So 12–19, Mi bis Fr 12–20 Uhr.

Jens Hinrichsen

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