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© ddp

Ausstellung in Dresden: Bei mir bist du schön

"Was ist schön?": Auch in der Kunst hat Schönheit Konjunktur. Das Dresdner Hygienemuseum sucht nach den Ursachen.

Der Bauch bildet ein Faltengebirge, der Busen baumelt schlaff, durch das welke Fleisch zeichnen sich die Knochen ab. Ist das etwa schön? Für Herlinde Koelbl hat sich diese Frage gar nicht erst gestellt. Die Münchner Fotografin war vielmehr von den Spuren des Alterungsprozesses fasziniert, von der Würde, mit der sich ihr Modell Nina der eigenen Vergänglichkeit stellt.

Die Dresdner Ausstellung „Was ist schön?“ stößt den Besucher mit dieser Fotoserie zu Beginn des Parcours erst einmal vor die Stirn. Der Betrachter weicht zurück, tritt dann allerdings wieder näher, um die Feinheiten, ja Schönheiten der Hautlandschaft zu studieren. Die Schau im Deutschen Hygienemuseum eignet sich nur bedingt für Ästheten; schließlich versteht sich das Ausstellungshaus weniger als Museum denn als Aufklärungsinstitut. Die fatale Geschichte des Hauses in den dreißiger Jahren, als hier mit Schönheitsbildern die rassistische Ideologie der Nazis untermauert wurde, bildet die Folie für die Ausstellung.

Und doch liegt die Schönheit im Trend. Schönheit hat nicht nur bei pubertierenden Töchtern, Kosmetikherstellern und Modemagazinen Konjunktur, sondern auch bei Wissenschaftlern und Künstlern. Für die Maler und Bildhauer der Avantgarde war sie seit der Moderne tabu, also seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Schön stand für reaktionär. Mit größter Vehemenz erklärten die Futuristen der Schönheit den Krieg: „Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen … ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake,“ schrieb Filippo Tommaso Marinetti 1909 im Futuristischen Manifest. „Schönheit gibt es nur noch im Kampf“, so sein Credo. Fortan lieferte die Kunst Bilder von der rauen Rückseite der Wirklichkeit. Ebenmaß, Harmonie, Gefälligkeit fielen unter das Verdikt, das im Grunde bis zum Jahrtausendwechsel galt.

Nun wankt dieses Bollwerk. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Schönheit nicht nur auf dem Markt der Eitelkeiten boomt und damit die Schönheitsoperation, auch im Kunstbusiness ist Beauty zunehmend gefragt. Die Dresdner Ausstellung fährt zunächst die erwartbaren Beispiele auf: Ausschnitte der TV-Show „Germany’s Next Topmodel“, Fotos der ersten Miss France, Statistiken der Kosmetikindustrie, Filmszenen, in denen sich hintereinanderweg die Hauptdarstellerinnen ihre Lippen nachziehen.

Gleichzeitig konterkarieren die Kuratoren den Kult, indem sie die strahlende Gewinnerin des Wettbewerbs Miss Landmine von 2008 in Angola zeigen. Neben der Trophäe in Prothesenform erhielt die versehrte Siegerin auch eine echte Prothese. An die Wände sind Signets von „Fight Lookism“-Initiativen gesprayt: Schneewittchen mit Kalaschnikow oder der Nasenaffe als Maskottchen des Hamburger Clubs der Hässlichen, der gegen Diskriminierung wegen Aussehen kämpft. Geschlecht, Hautfarbe, Religion stünden ja auch schon im Grundgesetz.

Nicht nur Juristen werden diesem Vorstoß geringe Chancen bescheinigen. Schließlich steckt die Gleichung „Schön ist gut“ und „Hässlich ist böse“ tief in unseren Köpfen. Mit den Märchen haben wir sie von Kindesbeinen an aufgesogen. Stets hatte die böse Stiefmutter hässlich auszusehen, Dornröschen aber war von lieblicher Gestalt.

Statt an diesem Gesetz zu rütteln, bestätigt die Hirnforschung unsere Vorlieben nun auch noch wissenschaftlich. Mit der Computertomografie lässt sich die Hirnaktivität messen und die positive Reaktion der Neuronen auf ästhetisch ansprechende Gesichter, ideale Körperproportionen, beruhigende Landschaftsbilder, harmonische Klänge erfassen. Ein riesiges gläsernes Hirn mit grün, rot, blau leuchtenden Zonen illustriert in Dresden die Durchschaubarkeit des Menschen.

Noch überzeugen die Erkenntnisse der Neuroästheten, die vor zwei Jahren in Berlin an der Charité ein eigenes Institut gründeten, kaum. Die Aussage, dass Künstler und Komponisten seit Hunderten von Jahren intuitiv Farbe, Formen und Töne in ein bestimmtes harmonisches, ja mathematisches Verhältnis zueinander bringen, dass Leonardo da Vinci nicht von ungefähr den Kopf der Mona Lisa aus der Achse rückte und ein zu schnell oder langsam gespielter Bach den Musikgenuss zerstört, überrascht nicht.

Auch der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson gehörte zu den Teilnehmern des Gründungskongresses der Berliner Neuroästheten. Sein Name wird neben dem von Damien Hirst immer wieder als Beleg für die Renaissance der Schönheit in der Kunst genannt. Mit seinen mitten in New York 44 Meter tief herabstürzenden Wasserfällen, der Simulation eines gigantischen Sonnenuntergangs in der Turbinenhalle der Londoner Tate Modern oder der überraschenden Verfärbung Stockholmer Gewässer versetzt er die Menschen in Staunen, transponiert Naturphänomene in einen artifiziellen Akt und schafft damit Momente der Erhabenheit. Der Brite Damien Hirst dagegen kreuzt Insignien des Lebens mit dem Tod: So setzt er prächtig schillernde Schmetterlinge in seinen kreisrunden Bildern ein und spickt einen Totenkopf mit Diamanten.

Beide, Eliasson und Hirst, gelten als die wichtigsten Künstler des vergangenen Jahrzehnts, jener Phase, als es für den Kunstmarkt keine Grenze nach oben zu geben schien. Geht die Wiederkehr der Schönheit in der Kunst mit einer bestimmten Käuferschaft einher, jener Sammlerschicht, die sich mit den Hedgefonds bildete und die mit dem Platzen der Finanzblase genauso schnell wieder verschwand? Steht Schönheit hier nur fürs Dekorative? Oder zeichnet sich in der Sehnsucht nach dem Guten, Wahren, Schönen ein neuer Konservativismus ab, ein Trend zur Weltenflucht?

Experten erklären die neue Entwicklung interessanterweise mit dem Einfluss außereuropäischer Malerei, fernöstlicher Ästhetik auf die hiesige Produktion, Kunst also aus Regionen, in denen kein Moderne-Diskurs die Schönheit desavouiert. So sind islamische Ornamente, modern interpretiert, auf Auktionen hoch gefragt, in München, London oder Berlin wurden etwa die Farbpigment-Gebilde des indischen Künstlers Anish Kapoor geradezu zelebriert. Noch wird meist umgekehrt angenommen, dass westliche Vorstellungen die östliche Gegenwartskunst dominieren. Doch durch die globalisierten Märkte, das freie Flottieren der Künstler zwischen den Kontinenten auf internationalen Biennalen, Ausstellungen handelt es sich längst um ein Wechselspiel.

Die vor sechs Jahren im Berliner Haus der Kulturen gezeigte Ausstellung „Über Schönheit“ präsentierte bezeichnenderweise überwiegend asiatische Künstler. Außerdem zwei Amerikaner, die ihre ganz eigene Vorstellung von Schönheit haben und auch in Dresden vertreten sind: Cindy Sherman und Mathew Barney. Sherman fotografiert sich selbst als Karikatur einer All-American-Housewife, bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und frisiert, bis zur Unförmigkeit gekleidet. Schönheit interessiere sie nicht, erklärte die Künstlerin zuletzt in einem Interview. Mathew Barney taucht hingegen in seinen Filmen in vollkommen neue Körperwelten ein und verwandelt sich zum fantastischen Geschöpf, das keine klare Geschlechtlichkeit mehr besitzt.

Schönheit ist relativ. So lautet auch die beruhigende Botschaft der Dresdner Ausstellung. Sie existiert im Auge des Betrachters, wie schon Kant in seiner „Kritik der Urteilskraft“ schrieb. Über 200 Jahre später ist die Kunst wieder bei ihm angelangt und besitzt damit eine neue Freiheit: auch schön sein zu dürfen.

Dresden, Deutsches Hygienemuseum, bis 2. Januar 2011; Katalog 24,90 €.

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