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Ausstellung in Hamburg: Tutti und Frutti

Lustig, bunt, sexbesessen: In der Finanzkrise stürzt sich die Hamburger Kunsthalle ins „Pop Life“.

„Sex sells“ gilt in wachsendem Maße auch für altehrwürdige Museen. Seit Jahresbeginn lockt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe in der Ausstellung „Nude Visions“ mit 200 Aktfotos, seit dieser Woche die wenige Schritte entfernte Kunsthalle mit saftiger Pop-Art. Geschickt konfrontiert mit Edouard Manets einst skandalöser „Nana“, findet sich dort unter anderem Jeff Koons’ berüchtigte Serie „Made in Heaven“ von der Biennale 1990 in Venedig. Darin setzte der Amerikaner sein voreheliches Liebesleben mit dem italienischen Pornostar Ilona Staller alias La Cicciolina nach allen Regeln süßlichen Kitschs und pornografischer Detailtreue als Hochglanzspektakel massenwirksam in Szene.

Die Hansestadt ist für „Pop Life“ die zweite Station. Die Premiere im Oktober vergangenen Jahres in der Londoner Tate Gallery begann werbewirksam mit einem Polizeieinsatz wegen Kinderpornografie. Am Tag vor der Ausstellungseröffnung hängten die Hüter des Gesetzes ein kleines, farbiges Aktfoto von Gary Gross ab, das die amerikanische Schauspielerin Brooke Shields zehnjährig in Lolita-Pose zeigte, mit Make-up und bis zu den Knien nackt.

Nach dem Muster von „Appropriation Art“ hatte der amerikanische Maler Richard Prince, der ansonsten als Spezialist für männerverschlingende Krankenschwestern gilt, eine Raubkopie des Fotos goldgerahmt und anspielungsreich „Spiritual America“ betitelt. Die Hamburger Kunsthalle verzichtete – wie es nun ausweichend heißt – aus Versicherungsgründen auf die vorpubertäre Zurschaustellung. Sie präsentiert stattdessen ein zahmeres Prince-Riesenfoto der erwachsenen Brooke Shields im Bikini.

Allzu deutliche Hinwendung von Kunst zu Mainstream und Kommerz galt lange Zeit als kultureller Verrat. Den Pop-Artisten allerdings wird ihre ungenierte Produkt- und Eigenvermarktung inzwischen zum originellen künstlerischen Plus umgemünzt. Denn Warhol, Haring, Koons und Hirst, ähnlich Andrea Fraser und Maurizio Cattelan haben mit Selbstpromotion nach den gewitzten Methoden der Reklamewelt ein neues, ganz anderes Publikum außerhalb der Galerienszene erobert. An solchen Erfolgen kommen auch die Museen nicht vorbei. Mittlerweile interpretieren sie Warhol und Konsorten als geniale Seismografen der Medien- und Konsumgesellschaft.

Zum Ausgangspunkt nimmt „Pop Life“ in Hamburg Andy Warhols provokanten Spruch „Gute Geschäfte sind die beste Kunst“. An 320 Exponaten zeigt die Schau, wie sich Künstler seit den achtziger Jahren nicht nur motivisch auf Massenmedien, Werbung und Starkult eingelassen haben, sondern diese Möglichkeiten praktisch nutzten, um sich selbst zur unverwechselbaren Marke zu stilisieren. Die Kunsthalle mutiert dabei zum Musik beschallten, schillernden Warenhaus der Popkultur und seiner Ikonen – mit Gemälden, Zeichnungen und Fotografien, Zeitschriften, Skulpturen, Videos und Merchandisingobjekten, einem Shop sowie Rauminstallationen.

Die Chronologie beginnt mit Andy Warhols zahllosen, späten Schickeria-Porträt-Wiederholungen und seinem sattsam bekannten Faible für das eigene, oft feminisierte Konterfei. Der Meister von Campell’s Suppendosen setzte sich blondgelockte oder schwarze Perücken auf, malte die Lippen rot und tuschte seine Wimpern zu Rehaugen. Ins kollektive Bildgedächtnis eingegangen ist sein Polaroid-Selbstporträt mit schulterlangem Silberhaar, das unter Strom geraten zu sein scheint.

Warhol hat vorgemacht, wie man sich zur Boulevard-Größe aufbaut, seine Hervorbringungen untrennbar mit dieser öffentlichen Person verbindet und jenseits des gängigen Kunstmarkts für Absatz sorgt. Das Erfolgsrezept wurde begierig übernommen. Der Graffitizeichner Keith Haring beispielsweise, der mit Strichmännchen, bellenden Hunden und einem Krabbelbaby im Strahlenkranz an den Wänden von U-Bahnstationen Furore machte, offerierte ab 1986 die nämlichen Motive auf T-Shirts, Kaffeebechern und Buttons in seinem „Pop Shop“ in der abgewrackten New Yorker Lafayette Street. Harings Laden ist jetzt nachgebaut, ebenso ein Raum aus Martin Kippenbergers 1993 selbst kuratierter Werkschau im Pariser Centre Pompidou. Dort hängt eine adorierende Auftragsarbeit von Koons für Kippenberger und auch das 2004 von Daniel Richter gemalte Bild der Berliner „Paris Bar“, deren Stammgast Kippenberger war. Als Hamburger Extra kommen die privaten Dokumente der Filmemacherin Gisela Stelly Augstein vom jungen „Kippi“ dazu.

Auch Tracey Emin und Sarah Luca von den „Young British Artists“ sind mit Vitrinen aus ihrer Kurz-Zeit-Boutique im Londoner East End vertreten. Dort boten sie viel Trash, ergänzt von Textilien mit dem Aufdruck „Sperm Counts“ und Aschenbechern mit dem Gesicht ihres Kollegen Damien Hirst feil. Bei Hirst allerdings klingelten die Kassen lauter. Kurz vor der Lehman-Pleite 2008 brachen dessen gerade fertiggestellten Reprisen als „Beautiful Inside My Head Forever“ bei Sotheby’s mit 120 Millionen Euro alle Rekorde. Warhols gelehrigster Schüler hatte seine neuesten Produkte selbst eingeliefert und verauktioniert. Viel Funkelndes und Glitzerndes und einiges in Formaldehyd aus dem Verkauf ist jetzt in Hamburg zu sehen, auch Hirsts sinnfälliges, erstaunlich anrührendes „Goldenes Kalb“ mit Edelmetallhufen und frisch shampooniertem weißen Fell.

Auf ganz andere Weise, aber nicht minder geschäftstüchtig agiert der Japaner Takashi Murakami, der auch Luxusartikel für Louis Vuitton entworfen hat. Der Mann mit der Samurai-Frisur und der Vorliebe für den Manga-Stil bringt die eigene grelle Produktpalette über seinen Konzern KaikaiKiki Co. Ltd. weltweit unter die Leute. Murakamis glitzernde Turnschuhe und tanzende Videoprinzessinnen, seine knuffigen Figuren und Figürchen, die dem Inhalt von Überraschungseiern ähneln, beenden die Ausstellung.

Zwei Kabinette in Hamburg bleiben für Besucher unter achtzehn Jahren verschlossen – das mit den offensivsten Koons-Tableaus und daneben die Performance der Prostitutionskünstlerin Cosey Fanni Tutti. Das Verbot mag den Zulauf steigern. Den hat die Kunsthalle bitter nötig. Denn trotz kompletter Entschuldung vor drei Jahren und Budgetzuwachs ist das Haus schon wieder mit mehr als einer Million Euro jährlich in den Miesen. Also „Pop til you drop“, wie in Harings Shop zu lesen. Zumal zum Karneval lässt sich „Pop Life“ als amüsante Show goutieren – bunt, lustig, unverfroren und nicht immer jugendfrei.

Hamburger Kunsthalle, bis 9. Mai, Katalog (DuMont Buchverlag) 26,95 €.

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