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In der Ausstellung zu sehen: Diese Photographie von Janne Schäfer und Kristine Agergaar zeigt eine Alltagsszene in Kairo 2006. Die altägyptischen Götter Horus und Anubis trinken Tee.

©  Institute du monde arabe / J&K

Ausstellung in Paris: Nofretete: Die Pharaonin der Herzen

Das Pariser Institut du monde arabe spürt in einer Ausstellung dem Phänomen Nofretete nach und zeigt, welche Rolle sie als Ikone im heutigen Ägypten spielt.

Nofretete lebt. Und sie hat viele Gesichter. Sogar auf den Tahrir-Platz, mitten ins Zentrum der arabischen Revolution, hat sie es geschafft. Ägyptens legendäre Königin trägt eine Gasmaske, die sie sich vors Gesicht hält. Das Grafitto-Konterfei mit den zornig gewölbten Augenbrauen, gelb und schwarz an die Wand gesprüht, stammt vom Kairoer Straßenkünstler El Zeft. „Ich habe der Rolle der ägyptischen Frauen während der Revolution ein Denkmal setzen wollen“, erzählt er. Sein Werk hat Erfolg: Das Porträt mit der Gasmaske benutzt inzwischen sogar Amnesty International bei Demonstrationen.

Dass Nofretete weitaus mehr ist als eine perfekte Büste hinter einer Museumsglasscheibe – das zeigt auch die Ausstellung „Le théorème de néfertiti“ („Der Lehrsatz der Nofretete“) in Paris. In seinem prächtigen Gebäude an der Seine hat das Institut du monde arabe eine bemerkenswerte, intellektuell anspruchsvolle Schau auf die Beine gestellt – die übrigens in ähnlicher Form bereits im Emirat Katar unter dem Titel „Tee mit Nofretete“ zu sehen war. Es ist keine archäologische Ausstellung, sondern eine ikonografische. Sie befasst sich mit der Frage, wie eine Ikone geschaffen wird, welche Rolle die Ideologie dabei spielt und wie die Künstler darauf reagieren. Nofretete wird hier zur Metapher. Sie steht für die Frage, wie Kunstwerke politisch und sozial vereinnahmt werden und welchen unterschiedlichen Stellenwert Okzident und Orient den Werken zusprechen, bis diese auf dem Sockel der Verehrung enden, auf dem sie aus verschiedenen Gründen angebetet werden.

Für Ägypten ist das eindeutig. Unter Gamal Abdel Nasser wird Nofretete in den fünfziger Jahren zur Ikone eines neuen, unabhängigen Staates, zum Symbol des ägyptischen Nationalismus. Sogar in der Wirtschaftsgeschichte des Landes hat sie ihre Spuren hinterlassen. Eine an die breite Bevölkerung verteilte Nähmaschine trägt ihren Namen und ihr Konterfei. Das Gerät sollte den industriellen Aufstieg des nachkolonialen Ägypten befördern. In Paris ist ein Exemplar zu sehen, umrahmt von Propagandafilmen. Diese Nähmaschine wurde ein riesiger Erfolg – bis die deutschen Marke Singer sie ablöste, die sich als effizienter erwies.

Im heutigen Ägypten ist Nofretete eine Ikone der Alltagswelt, die Ägypter pflegen ein durchaus entspanntes Verhältnis zu ihr – als geliebte Königin, als Königin der Herzen. Als Popstar ist sie am Nil omnipräsent, auf Schlüsselanhängern, Büchern, Kühlschränken, Bars und T-Shirts. Doch sie scheint auch Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden zu sein. „Die Europäer sehen Nofretete immer als historisches Phänomen aus der Pharaonenzeit. Aber für die arabische Welt lebt sie jetzt, sie verkörpert die ägyptische Gegenwartskultur“, erklärt die irakisch-amerikanische Kunsthistorikerin Nada Shabout, die die Ausstellung mit vorbereitet hat. In Deutschland wird die Büste zum Triumph der Archäologie, sie wird als Museumsobjekt bestaunt und bewundert. Jedes Jahr huldigen ihr eine Million Besucher im Neuen Museum in Berlin. Doch der Umgang mit Nofretete hat auch Diskussionen ausgelöst. Nicht nur wegen der ewigen Frage, ob die Büste ihrer umstrittenen Herkunft wegen an Ägypten zurückgegeben werden sollte.

Auch Künstler melden sich in Paris zu Wort. Der Brasilianer Vik Muniz polemisiert gegen den europäisch-musealisierenden Blick, der westlichen Museen die Herrschaft über antike Kulturgüter zuspricht. Er hat einen pseudo-ägyptischen Sarkophag geschaffen, darin eine mumienartige Figur platziert und das Ganze mit einer riesigen Tupperware-Hülle überzogen. Ein spöttischer Kommentar, der sich über die sterile Kühlhalte- und Aufbewahrungspraxis der Museen lustig macht. Das alte Ägypten als tiefgefrorene, leblose Kultur?

Wir kennen Nofretete nur als Fragment, als schönes Gesicht ohne Körper. Ein solcher wird ihr jetzt in der Pariser Ausstellung gegeben. Das Künstler-Kollektiv „Little Warsaw“ schuf für die Büste einen Torso aus Bronze, auf dem sie 2003 im Berliner Museum für Ägyptische Kunst tatsächlich aufmontiert war. Der entsprechende Film dazu wurde als ungarischer Beitrag auf der Biennale von Venedig gezeigt. Diese Plastik ist jetzt im Institut du monde arabe in einer großen Rauminszenierung zu sehen. Doch kann man Nofretete einen Körper geben? Viele Ägypter sahen damals ihr Nationalheiligtum geschändet und verhöhnt. Es gab internationalen Zoff. Dem damals verantwortlichen Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin wurden die Grabungsrechte in Ägypten verwehrt.

Wie soll man Nofretete fotografieren? Als reinen, beinahe intimen, völlig kontextfreien Gesichtsausschnitt, wie ihn der ägyptische Künstler Youssef Nabil präsentiert? Oder wie Candida Höfer, die das Neue Museum in Großraumperspektive zeigt? Bei ihr ist der gewaltige Museumsraum und der Glaskasten in der Mitte offenbar ebenso wichtig wie das Kunstwerk selbst.

Die Pariser Ausstellung erweist sich als intellektuelles Puzzle, das aber leider gedanklich überfrachtet ist. Sie setzt nicht nur Nofretete, sondern auch andere nahöstliche Kunst zu den verschiedensten Stilen, Dokumenten, Gattungen und Epochen in Beziehung. Zugleich soll offenbar die Kunstgeschichte revidiert werden – zugunsten einer ägyptischen Moderne. Mal wird der Orientalismus beklagt, mal die gegenwärtige Islamphobie angeprangert. Da ist es schwer, den Überblick zu behalten.

Offen bleibt, ob Nofretete, wie so oft gefordert, von Berlin an Ägypten zurückgegeben werden sollte. Darauf gibt „Le théorème de néfertiti“ keine Antwort. Zu sehen ist dazu allerdings ein Kommentar der palästinensischen Künstlerin Emiliy Jacir. Sie hat 2004 im Ägyptischen Museum in Kairo gedreht und zeigt, wie eine Reinigungskraft – ein Mann im blauen Kittel – eine antike Stele mit Putzmittel abwäscht und intensiv schrubbt. Nicht die Art von Pflege, die man sich für Nofretete wünschen würde.

bis 9. September, Institut du monde arabe, Paris.

Werner Bloch

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